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Nach oben geht es in Brasilien vorerst nicht. Das Land rechnet auch 2016 mit Rezession. Präsidentin Dilma Rousseff ist derweil in den größten politischen Skandal der Landesgeschichte verwickelt.

© REUTERS/Ueslei Marcelino

Brasilien in der Krise: Dilmas Demokratie

Brasilien steht vor großen Problemen: Wirtschaftlich in der Rezession, politisch in Skandale verwickelt. Doch in der Krise bewährt sich die Demokratie.

Es kommt nicht oft vor, dass sich der transatlantische Blick auf den Südteil des amerikanischen Kontinents richtet. Doch 2016, im Jahr der Olympischen Spiele in Rio, wird Brasilien wie während der Fußball-WM wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Das Land ist aber nicht mehr dasselbe.

Als Angela Merkel im August 2015 mit zwölf Kabinettsmitgliedern nach Brasilien reiste, sollten die „Regierungskonsultationen“ ein Höhepunkt der deutsch-brasilianischen Beziehungen werden. Doch das Land stand da schon mitten in der größten Rezession seiner Geschichte. Fünf Monate später sieht es nur noch düsterer aus. Die sechstgrößte Volkswirtschaft der Erde und Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika, die große demokratische Hoffnung der BRICS-Staaten und treibende Kraft für eine Reform der Vereinten Nationen; in Europas strategisch wichtigstem Partner in der Region brodelt es gewaltig.

Wirtschaftlich: Rezession. Politisch: In der Krise

Mitten in der schlimmsten wirtschaftlichen Krise des Landes ist auch der größte politische Skandal seiner Geschichte ausgebrochen. Und der hat für hollywoodreife Bilder gesorgt: Razzia im Hauptquartier des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras in Rio de Janeiro, wo schwerbewaffnete Polizisten spröde Bürokraten aus dem Gebäude eskortieren. Durchsuchungen bei hochrangigen Politikern, darunter einem Ex-Präsidenten, bei dem ein Ferrari, ein Porsche und ein Lamborghini beschlagnahmt wurden.

Präsidentin Dilma Rousseff bewegt sich auf eine Katastrophe zu. Ihre Zustimmungswerte wabern im einstelligen Bereich. Die Opposition fordert Amtsenthebung. Die Justiz ermittelt gegen Rousseff wegen Korruption. Dabei galt sie als nahezu unangreifbar. Sie war die vom Arbeiterhelden Lula sorgsam ausgewählte Nachfolgerin: Die unbiegsame Rousseff, die kurz nach ihrer Wahl das Großreinemachen gegen Korruption begann, bei dem ihr Kabinettschef, mehrere Minister und hunderte Beamte aus der Regierung gefegt wurden. Nun ist Rousseff selbst im Visier der Justiz.

783 Jahre Gefängnis

Die Ermittlungen zum Petrobras-Skandal haben eine beeindruckende Zwischenbilanz: Bis zu zehn Milliarden Euro Geldwäsche, darunter 2,5 Milliarden an Schmiergeldern. Die größte polizeiliche Ermittlungsaktion n der Geschichte des Landes. Drei Parteien und die größten Unternehmen sind verwickelt. 80 Menschen sind bisher verurteilt worden, zusammengerechnet zu 783 Jahren Gefängnis. Der Name, den die brasilianische Justiz für die Ermittlungen gewählt hat: „Operation Hochdruckreiniger“.

Sergio Moro, der 42-jährige Richter, der die Ermittlungen anfangs fast im Alleingang vorantrieb, war zuvor Provinzrichter im südbrasilianischen Curitiba mit Expertise in Finanzverbrechen; heute halten junge Brasilianer Plakate mit Moros Gesicht hoch, wenn sie gegen Korruption protestierend durch brasilianische Großstädte ziehen. Moro ist das Gesicht einer Schnauze-Voll-Bewegung geworden – gegen Korruption und gegen die ewiggleichen Eliten.

Brasiliens Justiz präsentiert sich gerade als vorbildlich

Moro gilt als unkorrumpierbar. Er ist ein Zeichen für ein Brasilien, wo eine post-diktatorische Generation abgesetzt wird und eine neue an die Macht kommt. Sie besteht aus Brasilianern, die in der Republik studiert haben, nicht in der Diktatur. Und die Bevölkerung zeigt Vertrauen in diese Justiz. Trotz aller wirtschaftlichen Probleme und politischer Skandale, genießt Brasilien eine demokratisch funktionale Öffentlichkeit, die mit Abstand besten Institutionen der Region.

Während andere südamerikanische Staaten mit ähnlichen Problemen kämpfen, werden zunehmend Fälle von Justizversagen öffentlich. In Venezuela werden Abgeordnete gewählt, später suspendiert, dann trotzdem vereidigt, bis das oberstes Gericht alle Entscheidungen des Parlaments annulliert, auch weil sie ihm – und dem Präsidenten – nicht passen. In Argentinien wird ein Anwalt ermordet, der dem Verdacht nachgehen will, dass die Präsidentin in einen 20 Jahre zurückliegenden Terroranschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus verwickelt ist.

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch steht Brasilien vor ungekannten Problemen. Doch im Gegensatz zu seinen Nachbarn zeigen Brasiliens Institutionen im Umgang damit eine demokratische Reife, allen voran eine vergleichsweise saubere und transparente Justiz. Eine Eigenschaft, die sich Deutschland bei vielen seiner anderen wichtigen Partner nur wünschen kann.

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