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Kein Licht am Ende des Tunnels - Ban Ki Moon in einem Tunnel im Gazastreifen.

© dpa

Britisches Unterhaus für Palästinenserstaat: Der Druck wird wachsen

Das britische Unterhaus stimmt für einen Palästinenserstaat. Der Stimmungswandel in der Öffentlichkeit wurde ausgelöst durch die Bilder von den verheerenden Verwüstungen der jüngsten israelischen Operationen in Gaza. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Der Beschluss hat keine rechtliche Bindungskraft, aber er ist geeignet, als Signal für einen langfristigen Richtungswechsel in der internationalen Nahostpolitik gewertet zu werden. Das britische Unterhaus hat sich für die Anerkennung eines unabhängigen Palästinenserstaates an der Seite Israels ausgesprochen. Zwar blieb die Mehrheit der 650 Abgeordneten der Abstimmung fern, aber die 274 Ja-Stimmen kamen aus beiden großen politischen Lagern. Sie stehen für einen Stimmungswandel in der britischen Öffentlichkeit.

Ausgelöst wurde der Umschwung durch die Bilder von den verheerenden Verwüstungen der jüngsten israelischen Operationen in Gaza, die die auch schon gravierenden Gebäudeschäden aus der Operation „Gegossenes Blei“ vom Dezember 2008 weit übersteigen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat bei einem Besuch des Gazastreifens die Zerstörungen als „unbeschreiblich“ bezeichnet. Bei den Bombardierungen und kriegerischen Auseinandersetzungen starben 2100 Palästinenser und mehr als 70 Israelis. Auch das belegt, wie heftig die israelischen Reaktionen auf den andauernden Beschuss der eigenen Grenzregionen zu Gaza durch Hamas-Terroristen gewesen sind.

Mehr als 500 000 Israelis leben bereits im Westjordanland

Israel selbst geht davon aus, dass die erfolgreiche Zerstörung zahlreicher Tunnel der Terroristen dem jüdischen Staat zwei oder drei Jahre Ruhe vor neuen Kommandounternehmen schenken könnte. Angesichts der völlig ungelösten Gesamtproblematik ist das ein bitter geringer Erfolg zu einem furchtbar hohen Preis. Allen Akteuren auf der internationalen diplomatischen Bühne ist bewusst, dass nahöstlicher Frieden nur durch eine Zwei-Staaten-Lösung mit einer zwar gemeinsamen, aber verwaltungstechnisch geteilten Hauptstadt Jerusalem möglich sein wird. Solange aber weder die radikalen Palästinenser bereit sind, einen solchen Verhandlungsweg einzuschlagen, noch Israel, seine Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten zu beenden oder gar rückgängig zu machen, wird es immer wieder neue kriegerische Auseinandersetzungen geben.

Heute leben bereits mehr als 500 000 Israelis im Westjordanland. Ein zusammenhängendes palästinensisches Siedlungsgebiet in einem autonomen Staat ist bei der Erhaltung des Ist-Zustandes nicht möglich. Aber die israelische Regierung zeigt kein Interesse an einer Rücknahme der Besiedlungsmaßnahmen. Ohne internationalen Druck wird keine der beiden Seiten von ihrer Extremposition abweichen. Beschlüsse wie die des britischen Unterhauses unterstreichen das. Auch ist die Völkergemeinschaft nicht auf Dauer bereit, immer neue Milliarden in den Neuaufbau der Infrastruktur in Gaza zu stecken – da darf man sich durch das Ergebnis der jüngsten Geberkonferenz nicht täuschen lassen.

Der Unterhausbeschluss ist auch aus historischen Gründen bedeutungsvoll. Mit der nach dem damaligen britischen Außenminister benannten Balfour-Declaration vom November 1917 wird erstmals das Wohlwollen der Londoner Regierung für „die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ ausgedrückt. Aber dann heißt es, dass nichts geschehen solle, „was die bürgerlichen und religiösen Rechte“ der in Palästina bestehenden Gemeinschaften infrage stellt. Genau darum geht es.

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