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Broders Meinung: Die Fußballer haben in Auschwitz nichts verloren

Henryk M. Broder kritisiert im „Spiegel“ den Vorschlag von Zentralrats- Präsident Dieter Graumann, die deutsche Fußballnationalmannschaft sollte während der EM im Sommer Auschwitz besuchen. Wir dokumentieren seinen Beitrag.

Was sollen die Fußballer in Auschwitz tun? Schwören, dass es ihnen leidtut? Erklären, dass so etwas „nie wieder“ passieren darf? Und hat schon mal jemand darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn die deutsche Elf Auschwitz besucht und danach emotional so außer Tritt gerät, dass sie aus dem Turnier fliegt?

Dabei geht es nicht darum, dass die Spieler Auschwitz besuchen; es geht darum, dass die Bilder von dem Besuch um die Welt gehen. Als würden sie in ein SOS-Kinderdorf in Afrika einfallen, um der Welt die Not von Kriegswaisen vor Augen zu führen.

Nein, die deutsche Fußballer haben in Auschwitz nichts verloren. Es sei denn, dass einige auf eigene Faust und ohne Kameras hinfahren möchten, aus privaten Gründen, über die sie niemandem Rechenschaft schuldig sind.

Falls der DFB Graumanns Anregung aufgreifen und „ein Zeichen setzen“ möchte, könnte er sich etwas Originelleres einfallen lassen als einen Pflichtbesuch an einer Kranzabwurfstelle, an der retroaktive Betroffenheit zum Nulltarif demonstriert wird. Etwa ein Freundschaftsspiel gegen Israel in Sderot, jenem Ort an der Grenze zu Gaza, der immer wieder von der Hamas mit Raketen beschossen wird. Bei einer Vorwarnzeit von etwa 15 Sekunden würden die Spieler schnell begreifen, was es bedeutet, in ständiger Alarmbereitschaft zu leben.

Sich mit toten Juden zu solidarisieren ist eine wohlfeile Übung. Man kann die Ermordeten weder noch einmal umbringen noch nachträglich retten. Aber falls jemand doch so etwas wie „Verantwortung“ verspürt, was im Prinzip nicht verkehrt ist, sollte er sich mit denjenigen solidarisch erklären, die heute leben. Und am Leben bleiben wollen.

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