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Meinung: Brutal nah

Im neuen Bundestag sitzen drei liberale und drei linke Parteien – das sind zu viele

Der merkwürdigste Wahlkampf aller Zeiten geht zu Ende. Und nun steht eine Konstellation, für die zwei Parteien Werbung gemacht haben – Schwarz-Gelb – gegen eine, die nie propagiert wurde – die große Koalition. Was kommt, weiß keiner. Ziemlich sicher scheint hingegen zu sein, welche Parteien im nächsten Bundestag sitzen: CDU/CSU, SPD, die Linkspartei, die FDP und die Grünen. Schon das erlaubt eine Prophezeiung. Die nächsten Jahre werden turbulent. Denn da etabliert sich kein neues Fünf-Parteien-System, vielmehr wird der 16. Deutsche Bundestag ein Parlament des Übergangs, noch dazu eines heiß umkämpften Übergangs.

Der Grund: Dort sitzen demnächst drei liberale Parteien (FDP, die Mehrheit der CDU und die Grünen) und drei linke Parteien (SPD, Linkspartei und wiederum die Grünen). Und wenn zwei politische Spektralfarben jeweils dreimal besetzt sind, dann ist das sinnlos - und brutal nah. So verschieden können die Varianten des Liberalismus und die Spielarten linker Politik nicht sein, dass sie auf Dauer je drei Parteien tragen könnten.

Zum Widersinn im Einzelnen: Die Merkel-Kirchhof-CDU verhält sich im Jahre 2005 zur FDP wie sich die Lafontaine-SPD 1990 zu den Grünen verhalten hat. Damals war die SPD so ökologisch, dass es gereicht hat, die Grünen unter fünf Prozent zu drücken, ohne dass die SPD dabei viel gewonnen hätte. Heute ist die CDU bei den Hauptthemen Wirtschaft und Steuern derart liberal, dass die FDP weniger als Korrektur erscheint denn als Karikatur. Das drückt die FDP zurzeit mehr nach unten als die CDU nach oben. Das kann, unabhängig vom Wahlausgang, keine vernünftige Arbeitsteilung sein.

Ähnlich verhält es sich zwischen SPD und Linkspartei. In der vergangenen Legislatur hätte der Bundestag eine Partei links von der Agenda-2010-SPD gut gebrauchen können. Doch schon heute steht die SPD selbst links von ihrer ehemaligen Agenda. Das wird, wenn Schwarz-Gelb gewinnt, zu einer Verdrängung der Linkspartei führen. Wenn die große Koalition kommt, führt es eher zu einer Spaltung der SPD. Größte Labilität ist also auch hier garantiert.

In der absurdesten Situation befänden sich die Grünen, die bekanntlich zugleich liberal und links sind und wohl ohnehin in der Opposition sein werden. Wenn auch noch SPD und Linkspartei opponieren, werden diese beiden Parteien durch ihre antagonistische Polit-Beziehung alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Da noch als überflüssigste linke Partei mitzumachen, wozu die meisten Sozialisationslinken bei den Grünen neigen, ist Unfug. Zwischen, neben oder unter SPD und Linkspartei ist kein Platz für Grün.

Da bleibt ihnen nur, den Kampf gegen die anderen Liberalen aufzunehmen, insbesondere gegen ihren natürlichen Todfeind, die FDP. Das wiederum wäre nur dann strategisch nachvollziehbar, wenn dabei auch eine schwarz-grüne Option eröffnet würde, was jedoch schwer ist, wenn die Union gerade regiert und man allein schon wegen der Rollenhygiene gegen die Schwarzen sein muss.

Man sieht: Die Grünen hätten es am schwersten. Es sei denn, Schwarz-Rot regiert. Dann könnten sie die schwarz-grüne Perspektive eröffnen, indem sie Äquidistanz zu den beiden regierenden Parteien schaffen. Außerdem wäre die FDP angeschlagen und um ihren Vorsitzenden erleichtert. Dieser Kampf der beiden liberalen Parteien könnte leicht mit dem Ende der FDP enden, zumal sowohl SPD als auch Union die Grünen schon jetzt viel lieber mögen als die FDP.

Eine politische Vulkanlandschaft entsteht. Zum ersten Mal ausbrechen dürften die Vulkane, wenn es am 18. September für Schwarz-Gelb nicht reicht. Denn der Weg in die große Koalition führt über das vorherige Antesten (fast) aller anderen Optionen. Deutschland ist im Umbruch, der Bundestag ist es auch.

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