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Meinung: Bürger fragen, der Staat schweigt Das Geiseldrama und die russische Informationspolitik

Nach dem Ende des Moskauer Geiseldramas wandte sich Präsident Putin direkt an die Angehörigen: „Wir konnten nicht alle retten. Vergeben Sie uns.

Nach dem Ende des Moskauer Geiseldramas wandte sich Präsident Putin direkt an die Angehörigen: „Wir konnten nicht alle retten. Vergeben Sie uns.“ Doch für diejenigen, an die sich jene Worte richteten, war zu diesem Zeitpunkt das Geiseldrama noch nicht vorbei. Sie warteten vor den Krankenhäusern auf Nachrichten über ihre Familienmitglieder. Viele wussten nicht einmal, ob ihre Angehörigen zu den Toten oder zu den Überlebenden zählten, ob sie nur unter Schock standen oder schwer verletzt waren.

Moskaus Informationspolitik weckt Erinnerungen an die Tage und Wochen nach dem Untergang der „Kursk“. Bruchstückhaft, verspätet oder gar widersprüchlich sind die Nachrichten über das Ende des Geiseldramas und seine Folgen. Selbst über die Zahl der Opfer gab es nur spärliche Informationen – bei jeder offiziellen Verlautbarung steigt die Zahl sprunghaft nach oben.

Am Tag danach gab es mehr offene als beantwortete Fragen. Welche Verletzungen haben die Geretteten? Wie sind die Opfer gestorben? Das eingesetzte Gas sei bei keinem der Opfer die Todesursache gewesen, behauptete der Vize-Innenminister – bis die Ärzte ihn am Sonntag widerlegten. Um welches Gas es sich handelt, wird weiter hartnäckig verschwiegen. Warum konnten die Terroristen ihre Sprengsätze nicht mehr zünden, während eine Frau noch telefonisch im Radio berichtete, dass Gas in das Gebäude geleitet wird? Die russischen Behörden erwecken den Eindruck, als berührten diese Fragen ein Staatsgeheimnis, als sei die Mitteilung von Informationen ein Gnadenakt. Sich im Falle einer Krise nach außen abzuschotten und nichts zu sagen, was den Staat in ein falsches Licht rücken könnte – das ist eine Strategie, deren Wurzeln bis in die Sowjetunion zurückreichen. Wegen missliebiger Berichterstattung über das Geiseldrama wurde ein kleiner Fernsehsender umgehend geschlosssen.

Eine solche Informationspolitik passt nicht zu einem Präsidenten, der den Schulterschluss mit dem Westen sucht. In einer Situation, in der es um Leben und Tod geht, reicht es nicht, die Angehörigen um Vergebung zu bitten. Putin muss ihnen auch sagen, was im Theater wirklich passiert ist. Das – und nicht nur eine bewegende Fernsehansprache – ist der Präsident den Opfern schuldig.

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