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Bund, Länder, Bildung: Der Wettkampf der Heuchler

Bildung ist unsere Zukunft. So viel Konsens ist sonst nirgends. In allen Wahlprogrammen steht es drin; die Parteien und unsere Spitzenpolitiker können es gar nicht oft genug sagen. Viertklässler oder Erstsemesterstudenten wissen es besser.

Alle Nöte, die Lehrer, Studenten oder Eltern im deutschen Bildungssystem nur haben können, brechen sich regelmäßig Bahn in dem immer gleichen Stoßseufzer: Bildung ist bei uns Ländersache.

Die SPD will ihn jetzt ernst nehmen. Bildung soll – auch – zur Bundessache werden. Ist sie das nicht längst? Mit ziemlicher Verspätung nach dem Pisa-Schock hat die Bundespolitik das Megathema für sich entdeckt. Die Bundeskanzlerin hat im letzten Jahr einen Bildungsgipfel veranstaltet. Der Nationale Integrationsplan, weitgehend ein Bildungsplan, setzt bundesweite Ziele. Das Geld vom Bund für die Ganztagsschulen, noch von Rot-Grün initiiert, hat trotz naserümpfender Länder einen unumkehrbaren Schub zur Ganztagsschule ausgelöst. Die Kommunen waren nämlich scharf darauf. Beim Ausbau der Kleinkinderbetreuung waren alle schon schlau genug, den Kompetenzstreit klein zu halten und die Föderalismusreform I unausgesprochen zu unterlaufen. Die untersagt mit dem sogenannten Kooperationsverbot – allein der Begriff spricht Bände – dem Bund Eingriffe in die Zuständigkeit der Länder.

Ja, Bildung steht auf Platz eins, allerdings nur auf der Hitliste der Sonntagsreden. Denn so kommt der hohe Ton der Politik bei denen an, die wirklich etwas von Schule oder Uni verstehen: als verlogen. Es gibt kein Thema, bei dem die Kluft zwischen der Wirklichkeit und den öffentlichen Ansagen als so tief empfunden wird. Angela Merkel hat Deutschland zur Bildungsrepublik ausgerufen, ein Land, das es nicht schafft, die Zahl von jährlich 70 000 Schulabbrechern ernsthaft zu senken. Eltern oder Lehrer winken ab, wenn wieder einmal große Ziele ausgerufen werden. Wer sie überzeugen will, muss erst liefern – wer bloße Versprechen inszeniert, läuft Gefahr, schnell als nackter Kaiser geoutet zu werden.

Zum ganzen Bild gehört jedoch, dass die Akteure des Bildungswesens, einschließlich der Eltern, von der Politik nur in Maßen ernst genommen werden müssen. Wählermehrheiten lassen sich in der kinderarmen Gesellschaft auch anderswo finden. Der große Empathieverlust zwischen den Erwachsenenwelten und denen der Heranwachsenden spiegelt sich auch im Verhältnis der Politik zur Bildungsrealität. Da darf jeder reden, ohne sich auf die schwierigen Tücken einzulassen.

Wer den Stoßseufzer über die „Ländersache“ als Ruf nach mehr Zentralismus und Vereinheitlichung zurückweist, versteht ihn nicht richtig. „Ländersache“ – darin drückt sich zuallererst aus, dass Bildung für die Politiker in Wahrheit zu einem abstrakten Objekt geworden ist. Früher anfangen, schneller zum Abitur und bei den Studienabschlüssen europäisch vergleichbar werden – mag alles richtig sein. Doch weder Landrat und Bürgermeister noch Ministerpräsident oder Kanzlerin müssen dafür geradestehen, wenn Schüler oder Studenten in diesen Prozessen durch die Maschen fallen, weil die landesweiten Matheaufgaben falsch korrigiert werden oder die Bachelorabschlüsse die anvisierte Vergleichbarkeit gar nicht einlösen.

Bildung ist tatsächlich unsere Zukunft. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass sie zum Spielball marodierender politischer Verantwortung geworden ist. Die Fahne der Länderkompetenz wird regelmäßig hochgehalten, wenn sie hinterfragt wird. De facto – und zu Recht – wird sie immer wieder von Bundes- und Landespolitikern gemeinschaftlich unterlaufen, wenn sie an Grenzen stößt. Man kann schon darüber streiten, ob der Wettbewerb die tragende Idee des deutschen Föderalismus sein soll. Richtiger Unfug ist die Vorstellung des Wettbewerbsföderalismus, wenn es um die Schule geht: Wie soll das Kind aus Neukölln, Bremen-Tenever oder Duisburg-Marxloh denn konkurrieren? Weil Bildung unsere Zukunft ist, muss sie auch Sache der richtig wichtigen, der Bundespolitik sein.

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