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Vor einem Jahr wurde Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt.

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Bundespräsident: Ein Jahr Gauck: Die Mühen der Ebene

Seit 365 Tagen ist Joachim Gauck Bundespräsident. Er hat sich das Amt angeeignet, und das Amt hat sich ihn erzogen - Gauck wirkt inzwischen amtskonformer denn je. Dennoch könnte er zum Glücksfall für die Berliner Republik werden.

Ein Jahr! 365 Tage seit der Wahl von Joachim Gauck, und er erweckt den Eindruck, schon länger Bundespräsident zu sein. Das ist seine Stärke und Schwäche zugleich. Er hat sich das Amt angeeignet, und das Amt hat sich ihn erzogen. Durch die Mühen der Ebene stapft er wacker, aber es ist eben mit Mühen verbunden, zumal für ihn, der mit der Attitüde des Nonkonformisten kokettierte. Doch nun wirkt Gauck amtskonformer denn je, er als Person, und als zu Beginn.

Das klingt enttäuschend, ist es aber nicht, nicht nur. Ein Präsident, der nur seiner selbst lebt und dem Klang seiner wohlgesetzten Worte nachlauscht, würde schnell scheitern. Denn das Amt ist eines, zu dem alle Zugriff zu haben glauben; der Amtsinhaber ist qua Aufgabe einer für alle und über die Parteigrenzen hinweg. Darum ist es ja auch logisch, dass keiner ihn für sich beanspruchen kann, woraus ein Teil der Enttäuschung resultiert.

Einer allerdings, der immer wohlfeil ist, der langweilt nicht nur, der ist auch banal. Und banal darf das Präsidentenamt nicht sein, sonst wird es bald gar nicht mehr sein. In dieser Hinsicht hat Gauck (auch sich) vieles geleistet. Wie er über Juden, Türken, Ökologen, Pazifisten, die Bundeswehr hier und dort, Europa, den Sexismus redet – einerlei ist es nie, was er sagt. Es hat aufgeregt, so oder so, fast jedes Mal, aber nur für kurze Zeit und nur in politischen Kreisen; aufgeregt auch deshalb, weil es manchmal auch zu wenig Gauck war, jedenfalls von dem, der gewählt worden ist.

Er wollte nicht politisch im Sinn des Alltäglichen sein, aber im Alltag hat ihn das politische Amt nivelliert. Damit läuft Gauck in der Ebene der kommenden Jahre Gefahr, das Amt zu nivellieren. Es ist ein Paradox und ein Dilemma zugleich: Je mehr er sich zurücknimmt, desto weniger wird über ihn und das Amt berichtet, was dem Amt guttut nach der kurzen Zeit mit einem Vorgänger, den mancher schon nicht mehr namentlich nennen mag: Christian Wulff heißt er. Je stärker Gauck als Person hervortritt, desto mehr Kritik zieht er, der nicht unter einem Mangel ans Selbstbewusstsein leidet, auf sich – und aufs Amt. Das bekommt beiden schlecht.

Einmal, weil ein Gauck ohne Spielraum die Lust auch an all dem verlieren würde, was das Amt noch so erfordert, die kleinen, wenig beachteten Notwendigkeiten der Repräsentanz; er braucht wirklich Beinfreiheit. Zum Zweiten aber, weil das Amt gerade erst zur Ruhe zu kommen schien und neue Debatten um seinen Wert fürs Ganze nicht aushält, jedenfalls nicht, wenn sie mit dem jetzigen Inhaber verbunden sind. Der vorherige mit den nicht enden wollenden Ermittlungen belastet es unglücklicherweise ausgerechnet in diesen Tagen genug.

Joachim Gauck steht in der noch vor ihm liegenden Zeit vor einer Herausforderung, vor der womöglich menschlich größten: sich im Amt nicht zu verlieren und doch das Amt mit seiner Grundausstattung zu akzeptieren. Er sagt nach diesem einen Jahr, an Millionen gewandt, Politiker müssten die Wahrheit sagen, nichts verschweigen – und sagt es sich selbst. Er muss sich auch daran halten; seine erste große Rede, die zu Europa, berühmt ihn da nicht. Darin liegt aber seine Verpflichtung, auch dem Amt gegenüber, wenn er es bewahren will: weniger in rasch dahingeworfenen Intellektualismen als in geordneten Gedanken im größeren Zusammenhang. Innerhalb dieser Amtskonformität kann er unkonventionell sein, auch nach seinem eigenen Maßstab.

Dann wird er der Glücksfall, den die Republik gerade wirklich gebrauchen kann.

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