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Bundespräsident Joachim Gauck.

© dpa

Bundespräsident Joachim Gauck: Krieg und Frieden

Joachim Gauck ist ein Mann, der Konflikte ausbalanciert, ein bisschen eitel, ein bisschen unsicher. Seine Herzenswärme rührt daher, so kennen wir ihn. Aber: Kommt da noch was?

Das Einzige, das man wirklich fürchten musste beim Amtsantritt von Joachim Gauck, war das Lehrmeisterhafte. Dieses Freiheitspathos. Sicher, als Bürgerrechtler hat Gauck unter dem totalitären DDR-Staat gelitten, das prägt ihn, und der notorisch jubilierende Impuls Gaucks, wenn es um Freiheitserfahrungen geht, verrät einen zutiefst sympathischen Glutkern des Mannes. Aber den meisten Deutschen muss man nicht beibringen, was Freiheit ist. Sie wissen das mit einer Selbstverständlichkeit, die Gauck, seit er ins Schloss Bellevue gezogen ist, nicht müde wird zu loben.

Dieser Bundespräsident steht ohne Agenda da. Nicht, dass er unbedingt eine bräuchte. Aber er wird über die Möglichkeit nachgedacht haben, dass man ihn in diesem Amt und für das Amt gar nicht unbedingt braucht. Das liegt an der weithin ausstrahlenden Beinahebedeutung, die es in Deutschland hat. Dass der Bundespräsident eine Meinung hat, zu der er dann auch steht, sieht diese Funktion nicht vor. Was manchen in ungeahnte Fallstricke getrieben hat. Horst Köhler schien in einer Rede das Eine zu sagen, in der nächsten nahm er es wieder zurück. Gauck schafft das in ein- und derselben.

Er sagt seinen Besuch bei den Winterspielen von Sotschi ab, kommentarlos, will es aber nicht als Signal gegenüber Russland verstanden wissen, an einem Staatsbesuch in Moskau hält er fest. Er lobt den Neoliberalismus, aber nicht als Fackel der Globalisierung, sondern als deutschen Sonderweg zur sozialen Marktwirtschaft. Nun, in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ anlässlich seines 74. Geburtstags am Freitag, meint er, Deutschland müsse wegen Auschwitz mehr militärische Verantwortung tragen, schränkt es aber gleich ein. „Schuldig werden kann man in beiden Fällen: sowohl im Fall des militärischen Eingreifens wie auch im Fall der militärischen Enthaltung.“

Es ist ja wahr, das mit der Schuld. Aber was ist mit Joachim Gauck passiert, diesem Wortgewaltigen, dass er es jedem recht machen möchte?

Vielleicht geschieht das automatisch. Viele seiner Vorgänger sind in ihren Reden blass geblieben. Da war die eine andere Rede Richard von Weizsäckers zum Kriegsende, die den Deutschen als den Besiegten erlaubt hat, sich als Befreite zu sehen, ein echter, wenn auch jahrelang vorbereiteter Paradigmenwechsel. Da war Roman Herzogs Ruck-Rede, die das politische Klima im Endstadium der Kohl-Ära traf. Da waren Köhler, der Finanzexperte, der über das „Monster“ des Kapitalmarkts sprach, ansonsten aber beschämend ungehört blieb, als 2008 die Finanzkrise einsetzte, und Christian Wulff und der Islam, der auch zu Deutschland „gehört“. Und Gauck?

Kommt da noch etwas? Sollte er nicht forscher sein? Wie er es war. Und wenn schon nicht radikaler, weil die Deutschen das auch nicht mehr sind, dann doch zumindest origineller. Statt auszunutzen, dass es nach den Turbulenzen um Wulff im politischen Betrieb kaum Kräfte gibt, die sich seiner überdrüssig zeigen werden, scheint Gauck den allgemeinen Wunsch nach Ruhe an dieser Front nur allzu gerne zu beherzigen: „Zuwanderer haben berechtigte Ansprüche an dieses Land, und …“ Na, ja, und umgekehrt.

So ist er eben. Ein Mann, der Konflikte ausbalanciert, ein bisschen eitel, ein bisschen unsicher. Seine Herzenswärme rührt daher. Als Machtloser an der Spitze des Staates ist es allerdings wichtiger, die eigene Person wirken zu lassen. Und wir kennen unseren Gauck. Vielleicht hat er seine wichtigsten Reden schon gehalten.

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