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Joachim Gauck sieht sich selbst vor allem als der „Bürger Gauck“ - auch im höchsten Staatsamt.

© dapd

Bundespräsident kritisiert Kanzlerin: Gauck hat den Nichtangriffspakt gekündigt

Joachim Gauck tadelt die Kanzlerin öffentlich, er schaut den Bürgern aufs Maul und legt dann los. Er macht sich größer auf Kosten anderer. Dabei ist er doch der Herr Bundespräsident. Reicht das nicht?

Wer, in drei Gottes Namen, ist Herr Gauck? Der Bundespräsident, lautet die richtige Antwort. Natürlich. Aber gerade hier liegt womöglich ein Teil des Problems, das wir gerade erleben. Joachim Gauck sieht sich nämlich vor allem als der „Bürger Gauck“, der jetzt, angekommen in diesem Land, in diesem Amt, frei sagen kann, was die anderen Bürger nicht so sagen können. Weder inhaltlich noch rhetorisch. Oder wenn sie es sagen, will es meistens keiner hören. Das ist bei Gauck anders, natürlich.

Positiv gedacht: Gauck schaut den Bürgern aufs Maul und legt dann los. So richtig präsidial ist das allerdings nicht. Der Herr Bundespräsident beliebt, ein sehr freies, ziemlich tagesaktuelles Wort zu führen. Das ist aber ungefähr so präsidial wie Horst Seehofer ministerpräsidential ist, wenn er das sagt, von dem er vermutet, dass es das Volk denkt. Da haut Super-Hotte auch schon mal Sachen raus, bei denen anderen der Atem stockt. Anderen Bürgern wie der Bundeskanzlerin, zum Beispiel.

Nun ist es andererseits so, wie es weiland die neue Sprecherin Gaucks von Helmut Kohl erfuhr. Der, den sie angesprochen hatte als „Herr Doktor Kohl“, erwiderte „für Sie Herr Bundeskanzler“ – weil doch niemand etwas vom Herrn Doktor Kohl, sondern vom Bundeskanzler, vom Amtsinhaber, nicht vom Privatbürger wissen wolle. Das ist jetzt kein Plädoyer für die korrekte Anrede, sondern für ein zutreffendes Amtsverständnis. Davon hängt sehr viel ab, auch die politische Wirkung des Bundespräsidenten.

Eigentlich gilt, dass der Bundespräsident Mitglieder der Regierung oder seine Vorgänger oder Verfassungsrichter nicht öffentlich tadelt oder maßregelt oder belehrt. Jedenfalls nicht so direkt, sind doch alle Verfassungsorgane. Nein, wenn dem Präsidenten etwas missfällt, sagen wir: die Erklärung der Maßnahmen gegen die Euro-Krise – dann kann er ja eine Rede halten und sie erklären. Damit füllt er dann konstruktiv-kritisch die Lücke, die er sieht, anstatt sie zu beklagen. Und alle lernen im besten Fall daraus.

Sehen Sie hier Bilder des Tages, an dem Gauck in sein Amt gewählt wurde:

Nur, bei diesem Bundespräsidenten sieht das anders aus. Der Nichtangriffspakt scheint von seiner Seite aus nicht (mehr) zu gelten, vorsichtig gesagt. So kurz im Amt, hat Bürger Gauck mal eben ganz leger in die operative Außenpolitik eingegriffen, in Israel war das; hat den einzigen Satz, der von seinem Vorgänger uneingeschränkt positiv in Erinnerung bleiben könnte, den zum Islam, eingesammelt; hat Pazifisten ein paar hinter die Ohren gegeben, weil Friedensliebe glückssüchtige Feigheit ist, ach ja, und die irrenden Ökologen waren vorher auch noch dran. Wenn sich Vergleichbares einer der Vorgänger erlaubt hätte, nehmen wir Horst Köhler, dann wäre aber was los gewesen in der Republik. Dennoch halten sich die Kritisierten und die anderen daran, ihn ihrerseits nicht öffentlich anzugreifen. Noch.

Dabei ist das schon jetzt möglich: sachliche Kritik an Gauck. Gauck hat in seiner Kritik an der Bundeskanzlerin seine Nicht-Beziehung zum Topos Europa deutlich gemacht. Er hat Merkel doch tatsächlich zu einer fiskalpolitischen Begründung der Euro-Maßnahmen aufgefordert. Das hört sich populär an, ist aber bloß populistisch – denn wenn Merkel eines immer getan hat, dann das, und zwar bis ins kleinste Detail. Man muss ihr dafür nur ab und zu mal zuhören. Die Wahrheit ist da sehr konkret. Die große Rede zu Europa, die zu Freiheit und Verantwortung, zu der Freiheit zur Verantwortung, die sich der Einzelne nehmen kann, in aller Toleranz (so etwa geht sein Bürger-Buch) – die hat Gauck selber bisher auch nicht gehalten. Das wäre jetzt gerade eine schöne, kluge, präsidiale Replik gewesen. Dem Amt angemessen, und dem Mann, der die Worte liebt.

Das Faszinierende ist: Er wirkt nett dabei. Er formuliert auch schön. Man freut sich zu sehen, wie Gauck sich daran freut. Und man ist geneigt zu überhören, wie er sich größer macht auf Kosten anderer. Dabei braucht Joachim Gauck das doch gar nicht, er ist doch eine feste Größe: Er ist der Herr Bundespräsident. Reicht das nicht?

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