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Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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Bundestagswahl 2013: Das System Merkel funktioniert

In Deutschland gibt es keine Wechselstimmung: Mehr als die Hälfte der Deutschen ist zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung und damit mit Angela Merkel. Zwei Ereignisse könnten der Kanzlerin aber durchaus gefährlich werden.

Darf das wahr sein? Seelen- und prinzipienlos, pathosfrei, ohne Charisma und rhetorisches Talent: So schleppt sich die deutsche Regierung, scheint’s, durch die Jahre. Weil sie Glück und Zeit auf ihrer Seite hat, sind Euro-Krise und Energiewende ihr noch nicht um die Ohren geflogen. Weil das Fundament schon gelegt worden war, haben sich Konjunktur und Arbeitsmarkt gut entwickelt. Als Profiteure einer Entwicklung, die sie selbst nicht auf den Weg gebracht haben, sonnen sie sich im Glanze goldener Zahlen und robuster Umfrageergebnisse.

Ist das gerecht? Zum ersten Mal seit 2009 haben die Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP nun wieder eine eigene Mehrheit, sagen der ARD-Deutschlandtrend wie auch die Institute Forsa und Allensbach. Lediglich beim Politbarometer kann Schwarz-Gelb keine Mehrheit bilden. Doch das Gesamtbild ist überall gleich: Insbesondere Angela Merkel überstrahlt, gut sieben Wochen vor der Bundestagswahl, die deutsche Politik. In der eigenen Partei unangefochten, beliebt quer durch die Parteien, regiert sie ein Land, das in Europäischer Union und Euro-Zone mächtiger ist denn je.

Dabei müsste ihr Stern längst verblasst sein. Diese Halbherzigkeit, dieser Wankelmut! Erst für Atomkraft, dann dagegen, erst für die Wehrpflicht, dann dagegen, erst für staatliche Investitionspakete, dann dagegen, erst gegen die Homoehe, dann dafür, erst nah bei Amerika, dann auf Distanz. Und die Personalquerelen – Guttenberg, Wulff, Schavan, de Maizière. Und die Politik – Hotelsteuer, Betreuungsgeld, Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zu Libyen, Drohnen-Debakel. Und ihre Art – wann immer es brenzlig wird, taucht Merkel zunächst ab, anschließend ruft sie eine Expertenkommission ins Leben, wenn Akzente gesetzt werden sollen, veranstaltet sie einen Gipfel. Das alles wird belohnt?

Das System Merkel

Die neueste Politbarometer-Messung zeigt einen leichten Aufwind für SPD und Grüne. Aber von einer Koalitionsmehrheit sind die Wunschpartner noch weit entfernt. Angela Merkel wünschen sich doppelt so viele Wähler an der Spitze der nächsten Regierung wie Peer Steinbrück. Drohnen- und NSA-Affäre zeigen keine Wirkung.
Die neueste Politbarometer-Messung zeigt einen leichten Aufwind für SPD und Grüne. Aber von einer Koalitionsmehrheit sind die Wunschpartner noch weit entfernt. Angela Merkel wünschen sich doppelt so viele Wähler an der Spitze der nächsten Regierung wie Peer Steinbrück. Drohnen- und NSA-Affäre zeigen keine Wirkung.

© Tsp

Man kann verstehen, dass sich die Opposition die Haare rauft und die professionellen Politikdeuter geneigt sind, aus Ratlosigkeit das Publikum zu beschimpfen. Dabei ist das System Merkel oft in seiner Wirkung beschrieben worden. Da ist, erstens, die Krise. Solange der Eindruck von Krise herrscht, bevorzugen die bürgerlichen Instinkte Vorsicht, Ideologiefreiheit und Moderation. Keine Experimente, keine großen (Ent-)Würfe, Politik als permanenter Reparaturbetrieb. Auf dieses Geschäft versteht sich die Kanzlerin. Ohne Krise stünde die Frage weitaus bohrender im Raum, wohin sie das Land eigentlich führen möchte.

Da ist, zweitens, die fast kokette Attitüde mit der eigenen Bodenständigkeit. Bescheiden gibt sie sich, manchmal scheu, immer ehrlich – sogar im Nichtwissen –, enorm fleißig („was die Frau arbeitet!“) und niemals abgehoben, elitär, eigennützig, neunmalklug. Von Merkel würde jeder Deutsche einen Gebrauchtwagen kaufen. Selbst wer sie inhaltlich heftig kritisiert, traut ihr nichts Böses zu. Vielleicht nützt ihr auch das Frausein im Amt. Bei manch einem Patriarchen, ob im Politik- oder Medienbetrieb, erweckt eine Kanzlerin in Bedrängnis gelegentlich Schutzbedürfnisse.

Merkel hat gelernt, ihre Schwächen offensiv zu machen

Da ist, drittens, das, was der Philosoph Odo Marquard die „Inkompetenzkompensationskompetenz“ nennt. Merkel hat gelernt, ihre Schwächen offensiv zu vermarkten. Nach Fukushima werden ihr plötzlich die Gefahren der Kernenergie bewusst, nach den Snowden-Enthüllungen über die NSA-Praktiken tituliert sie das Internet als „Neuland“. Ist das naiv? Nein, damit ist sie näher am Volk, das ja ebenfalls immer schon ahnte, aber nie wahrhaben wollte, als an den Berufsmahnern, aus denen nach Katastrophen meist bloß Rechthaber werden.

Das System Merkel funktioniert, außerdem gibt es keine Wechselstimmung in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Deutschen ist zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Zwei Ereignisse aber könnten der Kanzlerin durchaus gefährlich werden. Eine Grundregel vor Wahlen besagt: Wer zu früh zu gut ist, wird gezwungen, alsbald gegen den Trend zu kämpfen. Und: In die TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück geht die Kanzlerin als klare Favoritin, kann also nur verlieren. Ganz sicher: Spannend wird’s erst noch.

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