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Ärger in Neukölln. Heinz Buschkowsky und die Richterschelte.

© dpa

Buschkowsky und die Richterschelte: Knigge für Amtsträger?

Unser Leser Prof. Dr. Baumgarten empfindet die Unabhängigkeit der Richter per se als Narrenfreiheit. Richterin Kerstin Böttcher-Grewe antwortet ihm und meint, dass Respektlosigkeit nicht in unsere Gesellschaft gehört.

Herr Buschkowsky will sich nicht für seine Äußerung entschuldigen. Recht hat er, wenn der Fall so zutrifft. Neben den vielen verantwortungsvollen Berliner Richtern gibt es Richter, die die Unabhängigkeit des Richters als Narrenfreiheit empfinden. Mit der Einstellung eines Verfahrens gibt es kein Urteil. Damit ist der Richter die Arbeit los. Aber viel wichtiger: Ohne Urteil keine höhere Instanz, die sein Urteil überprüfen kann. Und die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten selbst. Die Gerichtskasse ist entlastet. In meiner Amtszeit gab es einen Berliner Richter, der jedes Ordnungswidrigkeitsverfahren einstellte. Bei einem Vortrag über das Eichrecht vor Mitarbeitern des Gewerbeaußendienstes gab es bei Nennung des Namens des betreffenden Richters lautes Lachen im Saal. Auch dort hatte man dieselben Erfahrungen mit dem Richter gemacht. Von vorgesetzten Stellen des Richters wurde das Verhalten wie üblich lapidar mit der Unabhängigkeit des Richters abgetan. Man könne nichts machen. Wenn es für Richter keine Normen gibt, an die sie sich bei der Urteilsfindung halten müssen, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn einige Bürger meinen, Gesetze gelten nicht für sie. Die Kritiker von Herrn Buschkowsky sollten lieber selbstkritisch ihr eigenes Verhalten überprüfen.

Prof. Dr. Dieter Baumgarten, Berlin-Buckow

Ich bin etwas verwirrt. Hat der Amtsrichter in Tiergarten ein Verfahren eingestellt, weil er keine Lust hatte ein Urteil zu schreiben? Oder haben die Beweise nicht ausgereicht? Hat der Wirt in Neukölln nun Alkohol an eine Sechzehnjährige ausgeschenkt oder nicht? Ich weiß es nicht. Das ist auch nicht schlimm, denn ich war ja nicht dabei. Das war Herr Buschkowsky aber auch nicht. Herr Professor Dr. Dieter Baumgarten hat dieses Dilemma erkannt. Er differenziert nämlich. Herr Buschkowsky müsse sich nur dann entschuldigen, wenn der Amtsrichter das Verfahren eingestellt habe, weil er keine Lust hatte, ein Urteil zu schreiben. Dann dürfe man ihn auch als „Schwachmaten“ bezeichnen. Neben der Reflexion über die Kinderstube des einen oder anderen Beteiligten an diesem Schlagabtausch, liegt hinter dem konkreten Sachverhalt ein schwerwiegendes Problem. Wie gehen die Träger der verschiedenen Staatsgewalten, hier die Kommunalverwaltung in Form des Bürgermeisters und die Justiz miteinander um. Die Berliner Justizsenatorin hat diesen Sachverhalt zutreffend kommentiert: „Persönliche Verärgerung ist weder Rechtfertigung noch Entschuldigung für einen Amtsträger der Zweiten Gewalt einen Amtsträger der Dritten Gewalt derart zu beleidigen.“

Kerstin Böttcher-Grewe, Vorsitzende des Thüringer Richterbund.
Kerstin Böttcher-Grewe, Vorsitzende des Thüringer Richterbund.

© Mike Wolff

Ich gehe noch darüber hinaus, nicht einmal dann, wenn der Vorwurf zuträfe. Unsere Gesellschaftsordnung basiert auf dem Vertrauen der Staatsbürger gegenüber den Staatsorganen, denen sie sich im Gesellschaftsvertrag unterworfen haben und Teile ihrer Souveränität, insbesondere das Gewaltmonopol übertragen. Da jede Macht die Gefahr des Missbrauchs in sich birgt, gehen wir seit der Aufklärung davon aus, dass eine Gewaltenteilung die Ansammlung von Macht bei einer Staatsgewalt begrenzen kann. In demokratischer Legitimation wählen wir unsere Parlamente, diese wählen die verschiedensten Regierungen, die ihrerseits Beamte und andere Amtsträger ernennen, um unser Staatswesen zu verwalten. Daneben gibt es noch die Gerichte, die Dritte Gewalt, die in unterschiedlichen, manchmal auch sehr komplexen Rechtsordnungen die Einhaltung von Verträgen überprüft, den Strafanspruch des Staates durchsetzt oder die Verwaltung kontrolliert. Allen Amtsträgern, unabhängig davon ob es sich um Abgeordnete, Bürgermeister, Steuerbeamte oder Richter handelt, gebührt der Respekt der Amtsträger der anderen Staatsgewalten um den empfindlichen Organismus der Gewaltenteilung nicht zu verletzen.

Wie oft beklagen wir Respektlosigkeit gegenüber Lehrern, Polizisten, Gerichtsvollziehern oder anderen Staatsbeamten, die sich in Ausübung ihrer Dienstpflichten beschimpfen oder sogar verletzen lassen müssen. Zu Recht müssen wir dem entgegentreten, denn sonst gefährden wir den Gesellschaftsvertrag und begeben uns in den Zustand des Kampfes aller gegen alle, in der der Stärkste gewinnt oder ähnlich unerfreuliche Lebensbedingungen. Ein aufmerksamer Blick in die Zeitungen oder andere Medien bringt Erkenntnisse darüber, wie menschliches Zusammenleben aussieht, wenn das Staatswesen zusammengebrochen ist. Der Blick muss hierbei nicht zu dem bedauernswerten Menschen nach Somalia schweifen, auch die Erinnerung an die Konflikte, die vor gar nicht allzu langer Zeit im untergegangenen Vielvölkerstaat Jugoslawien ausgebrochen waren, müssen uns Warnung sein.

Gehen wir sorgsam mit den Institutionen um, die uns, so fehlbar ihre Amtsträger auch sein mögen, viele Jahre lang Freiheit, Frieden und Wohlstand gebracht haben.

Ich befürchte, dies ist nicht eine Frage der Etikette zwischen den Staatsgewalten, sondern des Überlebens des von mir geliebten demokratischen Rechtsstaats.

Kerstin Böttcher-Grewe, Vorsitzende des Thüringer Richterbund

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