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Meinung: Bush geht, Bush bleibt

Ob mit Barack Obama oder John McCain: Der transatlantische Zwist geht weiter

V or langer, langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hatte, gab es ein großes, freies Land, das Einwanderer herzlich aufnahm, aus Tellerwäschern Millionäre machte und den Weltfrieden förderte. Dann aber erschien eines Tages eine finstere Gestalt namens George W. Bush. Er stahl die Präsidentschaft, beutete nach dem 11. September 2001 schamlos die Terrorangst aus, etablierte ein gedankenpolizeiliches Überwachungssystem, betete zu Gott, damit der Allmächtige ihn bei seinem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak unterstützen möge, brach alle internationalen Verträge, scherte sich nicht um die globale Erderwärmung, sperrte Menschen rechtlos auf Guantanamo ein und war ein glühender Verehrer der Todesstrafe. Acht Jahre lang dauerte seine Schreckensherrschaft. Doch bald ist sie vorbei. Ob mit Barack Obama oder John McCain: Zwischen den USA und Europa wird alles wieder gut.

Das ist, nur wenig überspitzt, die Zeitrechnung eines liberalen Deutschen. Bush war für ihn stets zweierlei: zum einen der Zerstörer der westlichen Werte und Verursacher der transatlantischen Entfremdung, zum anderen die ideale Projektionsfläche seiner grundsätzlichen Amerikaskepsis. Indem der texanische Bösewicht alle kontinentaleuropäische Abneigung – sowohl gegen die tatsächliche Politik der USA als auch gegen die amerikanische Gesellschaftsform und deren Werte – auf sich zog, nährt er nun die Hoffnung, ohne ihn ließe sich der Sündenfall rückgängig machen und das Tor zurück ins Paradies finden. Schlimmer wird’s nimmer: Diese Prophezeiung teilt fast jeder für die Nach-Bush-Ära.

Leider ist sie eine Illusion. Ob mit Obama oder McCain: Zwischen den USA und Deutschland wird der Ärger eher zunehmen.

Auf einigen Feldern, das ist wahr, wird der Neue im Weißen Haus den Europäern entgegenkommen – mehr Kooperation, Bekämpfung der globalen Erderwärmung, das Ende von Guantanamo. Das hilft dem transatlantischen Klima. Doch überlagert und letztlich nivelliert wird das alles von drei Konflikten, die langsam eskalieren und von Deutschen und Amerikanern grundsätzlich anders, ja zum Teil gegensätzlich gesehen werden – Finanzkrise, Afghanistan, Russland.

Da sind in erster Linie die Folgen der internationalen Finanzkrise. Die deutsche Reaktion darauf ist eine Mischung aus Spott, Trotz und Wut. Unter die Kategorie Spott fallen Bemerkungen aus dem Mund durchaus bürgerlicher Politiker wie „Der Preis der Arroganz“, „Grabstein der Bush-Administration“, „Die Quittung für den Größenwahn“. Verkündet wird nicht nur das Ende der amerikanischen Dominanz, sondern auch das des anglo-amerikanischen Kapitalismus. Ein ganzes Wirtschaftsmodell sei widerlegt worden, heißt es triumphierend, weil dessen Gegenstück, das kontinentale Wirtschaftsmodell mit dem Staat als zentraler Instanz, als überlegen empfunden wird.

Unter die Kategorie Trotz fällt die anfängliche und immer noch weit verbreitete Verweigerung, die eigene Schuld an der Krise anzuerkennen. Gern verdrängt wird, dass auch deutsche Banken Milliardenbeträge verzockt haben und vor allem die öffentlich-rechtlichen Landesbanken und die staatseigene Förderbank tief in der Misere stecken. Wie tönte der haushaltspolitische Sprecher der Union, Steffen Kampeter, noch nach der Pleite von Lehman Brothers: „Die Amerikaner haben die Finanzkrise hervorgerufen, und von daher glaube ich, dass vor allem die amerikanischen Steuerzahler an der Lösung der Probleme arbeiten sollten.“ SPD-Fraktionsvize Joachim Poß stimmte zu: „Die Amerikaner können jetzt nicht für ihr Versagen und ihre Arroganz Deutschland in die Haftung nehmen.“ Kurze Zeit später beschloss die Bundesregierung, etwas kleinlauter, das größte Rettungspaket der Nachkriegsgeschichte. Zerknirscht räumte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) ein: „Wenn es auf den Weltfinanzmärkten brennt, dann muss gelöscht werden. Auch wenn es sich um Brandstiftung handelt.“

Das erzeugt, drittens, Wut. Weil die Deutschen Weltmeister darin sind, sich als Opfer der Geschichte zu fühlen, beschleicht sie jetzt das Gefühl, die Zeche zahlen zu müssen – auch für das Versagen Amerikas. Und man braucht kein Prophet zu sein, um voraussagen zu können, dass diese Wut weiter wächst. Die Konjunkturaussichten für 2009 verschlechtern sich drastisch, der IMF erwartet für Deutschland ein Nullwachstum, die globale Krise wird das Exportland besonders schwer treffen. Die Arbeitslosigkeit wird wieder steigen, der Haushalt, statt saniert, weiter aufgebläht.

Doch 2009 ist zugleich Wahljahr in Deutschland. Da muss ein Sündenbock her. Kein Zweifel, wer sich dafür am besten eignet – die USA. Schon einmal, das war 2002, bewies ein deutscher Kanzler, dass mit amerikakritischer Rhetorik eine Wahl gewonnen werden kann. Die Versuchung, es im nächsten Jahr wieder zu probieren, ist groß. Eine Gesellschaft von ressentimentgeladenen Deutschen, die mit ihrem Schicksal hadern, weil sie glauben, es nicht verdient zu haben: Gibt es einen besseren Nährboden für Demagogie?

Der zweite transatlantische Entfremdungsfaktor heißt Afghanistan. Um das Dilemma auf eine kurze Formel zu bringen: Der Druck von USA und Nato, durch mehr Truppen und größeres militärisches Engagement eine Entscheidung im Kampf gegen die Taliban herbeizuführen, steigt – die Bereitschaft der Deutschen indes, sich dort überhaupt zu engagieren, nimmt stetig ab. Zwar wurde der Isaf-Einsatz von bis zu 4500 Bundeswehrsoldaten gerade verlängert, aber um 14 statt um 12 Monate, weil das Thema sonst womöglich in die heiße Phase des Wahlkampfs gefallen oder gar wahlentscheidend gewesen wäre. Aus Angst vor dem Wähler griff die Regierung zu einem Trick.

Als Zugeständnis an das Volksempfinden wiederum wird sie bald deutsche Elitesoldaten nicht mehr im Rahmen der Antiterrormission „Operation Enduring Freedom“ einsetzen. Deutschland will Frieden schaffen ohne Waffen, während es für US-Truppen in Afghanistan gefährlicher geworden ist als im Irak. Ähnlich wie einst über den Irak heißt es zwischen Flensburg und dem Bodensee heute über Afghanistan immer lauter: Raus da, das ist Amerikas Krieg!

Und drittens, schließlich, Russland. Das Land ist Lieferant Nummer eins für die deutschen Energieverbraucher. Etwa 32 Prozent der deutschen Ölimporte kommen aus Russland, sowie 36 Prozent der Gasimporte. Von keinem anderen Land sind wir abhängiger, Tendenz steigend, wofür auch der Atomausstieg verantwortlich ist. Falls es nicht gelingt, die Atomkraft bis 2002 durch Sparen und regenerative Energien zu ersetzen, was leider unwahrscheinlich ist, wird auch der Hunger nach sauberem russischen Erdgas steigen. Denn die Angst vieler Deutscher vor den Risiken der Kernkraft ist größer als ihre Abscheu vor neuem russischen Hegemonialstreben. Diese Entwicklung aber läuft konträr zu dem in Washington auch durch die Ereignisse in Georgien gestiegenen Bedürfnis, Russland stärker in die Schranken zu weisen. Je deutlicher die Worte des nächsten US-Präsidenten an die Adresse Moskaus sind, desto enger schweißt er Deutschland und Russland zusammen.

Schlimmer wird’s nimmer – denkt der Durchschnittsdeutsche über die Nach-Bush-Ära. Schön wär’s. Wahrscheinlicher ist, dass er, ob mit Obama oder McCain als neuem Blitzableiter, einmal gezwungen wird, rückblickend über die Frage nachzudenken, wie viel Bush eigentlich in Amerika steckte und wie viel Amerika in Bush.

Dieser Artikel erschien zuerst im „Wall Street Journal Europe“; Dow Jones & Company, Inc.

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