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Meinung: Bush unter Feuer

Die Liste der Pannen wird länger: Was wusste die US-Regierung vor dem 11. September?

Zu den Idealen freier Gesellschaften zählt der rationale Diskurs. Wenn mündige Menschen lange genug reden, begründen, streiten, setzt sich am Ende die Vernunft durch. Doch es gibt Wahrheiten, die man durch Argumente verwässert. Wer seinen Standpunkt erklärt, gibt zu, dass es sich nur um einen Standpunkt handelt. Er räumt ein, dass die Gegenthese zulässig ist. Sollen auch Frauen wählen dürfen? Darf man absichtlich unschuldige Menschen töten? Müssen Juden dieselben Rechte haben wie Nichtjuden? Darüber wird kein Diskurs geführt. Wer es trotzdem tut, stärkt – ganz unabhängig von der Antwort – die Barbarei.

Steckt die US-Regierung hinter den Anschlägen vom 11. September 2001? In Europa haben sich Bücher, die Varianten dieser These verbreiten, zu Bestsellern entwickelt. Stoff für Late-Night-Blödeleien: Da sind also diese finsteren Typen rund ums Weiße Haus, die zwar intrigant und raffiniert genug sind, durch eine Verschwörung 3000 Landsleute sterben zu lassen, um den Vorwand für einen Krieg gegen den Irak zu finden, die aber offenbar zu trottelig sind, um anschließend dort ein paar Biowaffen zu verstecken, deren Fehlen sich nun als peinlich erweist. Wer so etwas glaubt, stellt sich außerhalb jeglicher Rationalität. Er hat sich gegen den gesunden Menschenverstand immunisiert. Auch in diesem Fall gilt: Argumente verwässern die Wahrheit nur. Wer solche Wahn-Theorien zu widerlegen versucht, stärkt bloß den Wahn.

Das sei vorausgeschickt. Denn in der Tat haben die amerikanischen Geheimdienste vor dem 11. September offenbar in einem Maße geschlampt, das den Beobachter die Haare raufen lässt. Die jüngste Meldung: Bereits im März 1999 informierte der Bundesnachrichtendienst die CIA über Marwan al Shehhi. Selbst die Telefonnummer des Terror-Verdächtigen wurde weitergeleitet. Shehhi, der später eines der entführten Passagierflugzeuge ins World Trade Center lenkte, hatte zum Kreis um Mohammad Atta gehört, dem Chef der Hamburger Al-Qaida-Zelle. Beide reisten im Jahr 2000 ungehindert in die USA ein und nahmen dort Flugstunden.

Die Liste der Pannen im Vorfeld der Anschläge wird täglich länger. Nach dem Debakel um die nicht auffindbaren Massenvernichtungswaffen im Irak droht der Bush-Regierung auf diesem Gebiet neues Ungemach. Im Januar 2000 etwa fand in Malaysia ein Treffen wichtiger Al-Qaida-Extremisten statt. Wieder war die CIA informiert. Sie identifizierte auch zwei der Beteiligten als Verdächtige, die später zu den Flugzeugentführern gehörten. Auch diese Männer durften im August 2001 ungehindert in die USA einreisen. Dort lebten sie in der kalifornischen Stadt San Diego. Ihr Vermieter war ein FBI-Agent.

Was wussten die Geheimdienste? Was wusste die Regierung? Im August 2001 wurde Präsident Bush ausdrücklich vor einem größeren Al-Qaida-Anschlag gewarnt, bei dem Flugzeuge eingesetzt würden. Was geschah daraufhin? All diese Fragen will eine Untersuchungskommission des Kongresses klären. Sie setzt sich aus Vertretern beider Parteien zusammen. Bush selbst war gegen deren Einsetzung. Doch weil der Erklärungsdruck zu groß wurde, hat er sich bereit erklärt, demnächst in einer geschlossenen Sitzung Rede und Antwort zu stehen.

Es wird das erste Mal sein, dass Bush über seine Rolle in der dramatischen Zeit um den 11. September herum Rechenschaft ablegt. Gut möglich, dass der Skandal damit nicht aufhört, sondern erst beginnt. Am Montag erhob Bush das Rennen um die Präsidentschaft zur Schicksalsfrage. Als das wichtigste Markenzeichen seiner Amtsperiode stellte er den Kampf gegen den Terrorismus dar. Gemessen an dem, was noch hochkommen kann, war das mutig, manche sagen: tollkühn.

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