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Meinung: Charles John Huffam Dickens

„Gerechtigkeit gibt es nur in dieser Welt“ vom 30. Januar Die Frage „What would Dickens write today?

„Gerechtigkeit gibt es nur in dieser Welt“ vom 30. Januar

Die Frage „What would Dickens write today?“ erscheint mir nicht nur „naiv“, sondern geradezu absurd – man könnte genau so fragen: „Wie hätte heute W. G. Grace Cricket gespielt oder Henry Purcell Musik komponiert?“

Als „Produkt“ seiner Zeit hatte Dickens vor allem das überwältigende Bedürfnis, ein breites Publikum anzusprechen, das heißt, für jeden Geschmack zu schreiben; und gerade das mag den heutigen Leser irritieren. Charles Dickens zeichnete sich nicht nur durch eine ungeheure Vitalität, sondern vor allem auch durch eine geniale Beherrschung der englischen Sprache aus, die nur von Shakespeare übertroffen wurde. Diese Gabe ermöglichte es ihm, seinen einmaligen Sinn für Humor zur Entfaltung zu bringen.

In seinen Romanen findet man diese herrlichen Passagen immer leider zwischen Abschnitten überschwänglicher Sentimentalität und possenhafter Melodramatik – der Leser muss eben alle Aspekte aufnehmen. Dies ist – so muss ich gestehen – nicht immer leicht.

In einer Übersetzung ist es deshalb äußerst wichtig, seine überragende sprachliche Begabung und seinen Sinn für Humor zu erfassen. Leider ist dies in den deutschen Übertragungen, die ich kenne, selten befriedigend gelungen, besonders, was Dickens’ Version von Cockney betrifft.

Trotzdem lohnt sich heute das Lesen seiner Bücher, zumal Dickens in seinen späteren Romanen gelernt hatte, seine früheren Exzesse zu bändigen bzw. sich kunstvoller auszudrücken.

Im Übrigen blieb er nur etwas über vier Monate in der genannten Schuhwichsfabrik, nicht ein „gutes Jahr“. Außerdem muss man das Wort „traumatisiert“ in dem hier erwähnten Zusammenhang vorsichtig anwenden. Sicher ist, dass er später nicht nur darüber schwieg bzw. sich nur indirekt in fiktiver Form ausdrückte, sondern aus dem Erlebnis auch viel Humor schöpfte.

Claire Tomalins Biographie ist gut lesbar, aber teilweise zu subjektiv und ohne Präzision; die von Michael Slater verfasste mag zwar trockener erscheinen, ist dafür aber gründlich und objektiv.

Dr. Robert Golding, Berlin-Steglitz

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