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Meinung: Chinas Politik: Offen - für Korruption

Chinesische Dialektik hat eine lange Tradition. Mao Zedong philosophierte einst von "permanenter Revolution".

Chinesische Dialektik hat eine lange Tradition. Mao Zedong philosophierte einst von "permanenter Revolution". Kaum jemand verstand, was das bedeutete, aber alle spürten es: Chinas Traum vom Sozialismus versank in Armut und Hungersnöten. Nach ihm kam Deng Xiaoping, der den Begriff der "sozialistischen Marktwirtschaft" erfand. Was das bedeutete? "Reich werden ist ehrenhaft", rief Deng seinen Landsleuten zu - China durfte sich wirtschaftlich öffnen.

Mit Jiang Zemin ist nun die nächste Generation an der Macht. Auch er bastelt fleißig an einer eigenen "Theorie", die ihn in den Geschichtsbüchern der KP unsterblich machen soll. Die "Drei Vertretungen", die "Drei Betonungen" und die "Herrschaft durch Tugend" heißen Jiangs wohlklingende Wortschöpfungen. Schulkinder müssen sie auswendig lernen, Staatszeitungen veröffentlichen lange Aufsätze darüber, in den Fabriken gibt es Studiengruppen. Aber was bedeutet sie? Selbst Zhu Rongji, sonst ein Freund klarer Sätze, musste gestern auf Fragen von Reportern passen. Man müsse wohl ein "internationales Seminar" ausrufen, sagte der Regierungschef und lächelte verlegen.

Peking Führer sind im eigenen System gefangen, das sie selbst nicht mehr verstehen. "Sozialistisch" sei China, behaupten sie. Dabei müssen chinesische Arbeiter heute in Fabriken wieder Akkord arbeiten, es gibt weder Arbeitsschutzbestimmungen noch freie Gewerkschaften. Gerechtigkeit und Kommunismus stehen in China nur noch in der Verfassung. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist so groß wie in anderen Entwicklungsländern. Korruption und Selbstbereicherung sind alltäglich. Millionen Kinder können sich keine Schulausbildung mehr leisten, müssen frühzeitig arbeiten.

Den Westen nicht kopieren

Eine "Volksrepublik" ist China nur noch dem Namen nach. An die Stelle der Diktatur des Volkes ist die Herrschaft einer Handvoll mächtiger Altkader getreten: postkommunistische Autokratie. Ihre Familienklans kontrollieren Politik und Wirtschaft. Der Volkskongress, einst als Parlament gegründet, dient nur noch der politischen Folklore. Die vermeintlichen "Abgeordneten" sind damit beschäftigt, sich gegenseitig zu fotografieren. Politik dürfen sie nicht machen. Es gibt auch hoffnungsvolle Ansätze: Auf den Dörfern dürfen Chinesen seit einigen Jahren ihren Dorfchef selbst wählen. Wird sich daraus eines Tages Demokratie entwickeln?

China werde "niemals westliche Modelle kopieren und mehrere Parteien zulassen", betonte Zhu Rongji. Die KP hat den politischen Stillstand zu ihrem Leitprinzip erklärt. Mit ihren verkrusteten Strukturen kann die Partei schon heute das Land nicht mehr regieren. Probleme werden umgeschichtet, nicht gelöst. Die Staatsbetriebe schreiben weiter rote Zahlen, weil lokale Kader ihre Pfründe nicht aufgeben wollen. Korruption nimmt zu, weil die Medien von Parteisekretären zensiert werden.

Wohin geht China? Der neue Fünf-Jahres-Plan, den die KP-Mächtigen auf dem diesjährigen Volkskongress vorgestellt haben, gibt darauf keine Antwort. Der Plan mag dazu gut sein, sinnvolle Großprojekte wie die Eisenbahnlinie nach Lhasa oder Steuerentlastungen für die Bauern anzukündigen. Die Frage ist aber, ob Pekings Führer das alles überhaupt noch durchsetzen können. Ob die Gelder nicht in der Korruption verschwinden oder lokale Kader die Anweisungen aus der Hauptstadt einfach missachten. China mangelt es nicht an guten Plänen, das Übel steckt im System.

Harald Maass

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