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Christian Klar: Die Mörder sind unter uns

Wer keinen Unrechtsstaat will, muss ertragen, dass Christian Klar nach 26 Jahren Haft frei kommt. Der frühere RAF-Terrorist bleibt auch in Freiheit ein Gefangener - seiner eigenen Schuld.

Die Mörder sind unter uns. Dieser Gedanke ist für jede Gesellschaft, die auf der Unterscheidung von Recht und Unrecht beruht, ein unheimlicher, schwer erträglicher Gedanke. Empört sind auch jetzt Angehörige der Opfer und viele sonst unbeteiligte Menschen darüber, dass Christian Klar nach 26 Jahren Haft seit gestern wieder in Freiheit ist. Ein wegen mehrfachen Mordes verurteilter Ex-Terrorist und einst gefürchteter Killer der sogenannten RAF: ab sofort wieder ein Mitbürger und bald womöglich ein Mitarbeiter des staatlich subventionierten Berliner Ensembles.

So funktioniert ein Rechtsstaat, der aus historischen und unanfechtbar menschenrechtlichen Gründen die Todesstrafe abgeschafft hat. So funktioniert ein Rechtsstaat, der die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu seinem Grundsatz erklärt. Sie gilt für jeden Menschen, selbst für den Mörder, der darum nicht gefoltert werden darf. Und wenn er denn keine vorhersehbare Gefahr mehr für andere darstellt, soll auch dem „lebenslänglich“ Verurteilten nach Verbüßung einer langen Haftstrafe die urmenschliche Hoffnung, nochmals in Freiheit leben und sterben zu können, nicht geraubt werden.

Wer stattdessen keinen Unrechtsstaat will, muss das aushalten. Muss ertragen, dass auch jemand, der vor vielen Jahren kein Erbarmen oder Respekt für seine Opfer kannte, mindestens einen letzten Respekt durch die ihm gerade darin überlegene Gesellschaft erfährt. Das bedeutet noch kein Vergeben und kein Vergessen. Es ist auch nicht die Gnade einer „vorzeitigen“ Freilassung, die Bundespräsident Horst Köhler im Fall Klar 2007 abgelehnt hatte. Damals ging es unter anderem darum, ob der Ex-Terrorist wenigstens erkennbare Reue gezeigt habe.

Wirkliche Reue ist freilich etwas viel zu Existenzielles und zu intim, als dass man sie glaubhaft zu Markte tragen könnte. All die Äußerungen des Bedauerns und der Entschuldigung, die wir heute von Politikern, Bankern, erwachsenen Wirtschaftskriminellen oder auch ertappten jugendlichen Schlägern hören, sind zumeist wohlfeile Lippenbekenntnisse. Was der Reue folgen könnte, wäre nur freiwillige, tätige Buße. Aber die ist als Gefangener kaum zu leisten. Umgekehrt gibt es keine Entschuldigung für Mord. Und auch keine Wiedergutmachung, weil sie die Toten nicht mehr erweckt. Deswegen ist der Begriff so falsch.

Das heißt aber, der Mörder bleibt auch in Freiheit ein Gefangener – seiner Schuld. Dem kann Christian Klar, trotz allem Recht auf Resozialisierung, nicht entkommen, und gerade ein Theater ist keine Entschuldungsanstalt. Andererseits wirkt es wie blutig bittere Schmiere, wenn nun auf dem Boulevard die Szene zum Tribunal wird. Die Empörung von RAF-Opfern und Opferangehörigen ist allemal legitim. Doch öffentliche Rachefantasien aus Sensationssucht sind eine Schande und sie zeigen, was auch die Unschuldigen gern verdrängen.

„Die Mörder sind unter uns“ war der Titel des ersten deutschen Nachkriegsfilms. Wolfgang Staudtes moralischer Thriller handelte von Nazischergen, die schon wieder Karriere machten. Ähnliche Karrieren von Tätern einer Diktatur gab es nicht nur nach 1945. Wenn in solchen Fällen allzu oft überhaupt nicht gerichtet wurde, dann ist dies der wahre Skandal. Mit der RAF dagegen wurde langer, seriöser Prozess gemacht. Auch das ist ein Unterschied. Im Übrigen spielte der legendäre „Mörder“-Film an Weihnachten, brachte Licht ins Dunkel. Das erinnert daran, dass irdisches Recht nie vollkommen ist. Aber auch das halten wir aus.

Ein Kommentar von Peter von Becker

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