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Meinung: Comeback der Opposition

Mit John Kerry erhalten die US-Demokraten wieder eine Stimme – jetzt brauchen sie noch ein Projekt

Die kleine Szene spielt in Washington, kurz vor Weihnachten. Es ist ein informelles Treffen, man trinkt Glühwein, isst Spekulatius. Am Rande plaudert der deutsche Botschafter mit Chris Matthews, einem der klügsten amerikanischen Fernsehmoderatoren. Es geht um die Vorwahlen der Demokraten zur Nominierung ihres Präsidentschaftskandidaten. Wer für die Europäer der Beste sei, fragt der Botschafter. Matthews überlegt für seine Verhältnisse ungewöhnlich lange, also etwa drei Sekunden, dann antwortet er: John Kerry. Hat der eine Chance gegen George W. Bush? Matthews lächelt nur.

Am Dienstag hat Kerry in New Hampshire auch die zweite Runde der Vorwahlen mit großem Abstand gewonnen. Plötzlich gilt der Senator aus Massachusetts als klarer Favorit. Ob er sich durchsetzt, weiß keiner. Iowa und New Hampshire stellen zusammen nicht einmal zwei Prozent der Delegierten, die Ende Juli den Kandidaten küren. Und bis zu den Wahlen im November kann viel passieren: ein neuer Terroranschlag, die Zuspitzung der Krise im Irak, die Festnahme Osama bin Ladens. Alle Prognosen sind daher verfrüht. Amerika bleibt ein gespaltenes Land. Etwas Anderes freilich lässt sich jetzt schon konstatieren: die Wiedergeburt der Opposition. Die Profilierungskontroverse der Demokraten ist spannend. Die Vorwahlen beherrschen die Medien. In dichter Folge reiht sich Sondersendung an Sondersendung. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass selbst nach dem 2. März, dem legendären Super-Tuesday, der Sieger nicht feststeht. Einerseits verschärft das die innerparteiliche Auseinandersetzung, andererseits beherrscht die Opposition dadurch weiter die Schlagzeilen. Plötzlich wird der Kritik an der Bush-Regierung wieder Raum gegeben. Das allein verändert das gesellschaftliche Klima. Es gibt nicht mehr nur ein Zentrum der Macht, das Weiße Haus, sondern widerstreitende Weltbilder, Visionen, Ideale. Diese Entwicklung tut dem Land gut, trotz der Polarisierung.

Was aber hat die Opposition der Regierung entgegenzusetzen? Bislang erschöpfen sich die Schlagworte in einer Art sozialdemokratischer Litanei. Krankenversicherung verbessern, den Einfluss des Kapitals auf die Politik verringern, Armut bekämpfen, Arbeitsplätze schaffen, die Reichen stärker zur Kasse bitten. Bei den Parteigängern kommen solche Themen an – wirklich elektrisierend, massenwirksam, sind sie kaum. Der große Schwung, jene Botschaft, die begeistern kann, fehlt den Demokraten noch. Es nützt ihnen wenig, dass auch Bush bislang kein Wahlkampfthema hat, abgesehen von einem dürftig-trotzigen Weiter-so.

Vielleicht braucht Bush keine Richtung mehr vorzugeben, sondern muss der Opposition bloß den Wind aus den Segeln nehmen. Deswegen tourt gerade Vizepräsident Dick Cheney durch Europa, stellt sich in Davos geduldig Amerikas Kritikern, besucht den Papst und macht sich allgemein lieb Kind. Das soll daheim das Argument all jener entkräften, die das Weiße Haus der Arroganz und des Unilateralismus bezichtigen. Auch die Aussöhnung mit den Irakkrieg-Gegnern Gerhard Schröder und Jacques Chirac steht ganz weit oben auf Bushs Agenda.

Weder John Kerry noch Howard Dean, John Edwards oder Wesley Clark können davon ausgehen, dass die Entzweiung der Verbündeten über den Irak im Herbst noch existiert. Gegen solch wahltaktische Versöhnungsoffensiven und andere raffinierte Manöver der Regierung müssen sie ihre Rhetorik stärker immunisieren. Aus Präsenz muss Botschaft werden. Die Opposition ist wieder da. Wo sie hin will, weiß sie noch nicht.

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