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Meinung: Darth Vader gegen Mr. Niceguy

Zweiter Höhepunkt des amerikanischen Wahlkampfs: Heute treffen sich Cheney und Edwards zum TV-Duell

Kampfhund gegen Charmeur. Politprofi gegen Novize. Für das Fernsehduell der beiden Vizes im US-Präsidentschaftswahlkampf interessieren sich normalerweise nur die Experten. Doch in diesem Jahr ist auch das anders. Wieder liegt ein Knistern in der Luft. Ausgerechnet Dick Cheney, der Mann mit dem schlechtesten Image in der Regierung, soll das Ruder herumreißen. Heute tritt er in Cleveland, Ohio, gegen John Edwards an. Der 51-jährige Senator aus North Carolina wiederum muss zeigen, dass er mehr verkörpert als Jugend, Frische und Schönheit. Edwards will selbst einmal Präsident der Vereinigten Staaten werden. Er hat noch nie im Fernsehen diskutiert. Dies ist seine erste und einzige Chance, sich der Nation zu empfehlen.

Die „Washington Post“ hat nach der ersten Debatte zwischen George W. Bush und John Kerry eine „dramatische psychologische Wende“ konstatiert. Kerry war eindeutig besser. Das räumen selbst Bush-Anhänger ein. Auch die Fernsehsender waren sich einig. Bei einer Umfrage auf ABC wurde Kerry mit neun Prozent Vorsprung zum Sieger erklärt, auf CNN mit 16, auf CBS mit 18 Prozent.

Mehr als 62 Millionen Amerikaner sahen das erste TV-Duell. Das ist ein Rekord. Ganz Amerika ist in einem außergewöhnlich hohen Maß politisiert. Die Wahlbeteiligung am 2. November dürfte beachtlich sein. Auch auf die nationalen Umfragen, die berühmte Sonntagsfrage, hat sich das Ergebnis der ersten Debatte ausgewirkt. Im Magazin „Newsweek“ liegt Kerry zum ersten Mal seit vier Wochen wieder vor Bush. Und die Meinungsforscher von Gallup haben, im Auftrag von CNN und „USA Today“, immerhin ein Patt herausgefunden. Vor der Debatte hatte Bush dort noch mit acht Prozent Vorsprung geführt.

Für Kerry kommt der Umschwung keine Sekunde zu früh. Denn mehr als 20 Prozent der amerikanischen Wähler geben ihre Stimme vor dem Wahltag ab. Das sind vor allem Studenten, Soldaten und Rentner. In den entscheidenden Bundesstaaten, die auf der Kippe stehen, wird der Anteil der Briefwähler voraussichtlich noch höher liegen. In Florida etwa schätzt man, dass rund die Hälfte der Wahlberechtigten vorzeitig ihre Entscheidung fällt.

Jeder Tag und jedes Ereignis zählt also. Plötzlich ist sogar das Duell der Vizes ein politisches Großereignis. Kann Cheney wieder Boden gutmachen? Kann Edwards in Kerrys Fußstapfen treten? Cheney ist eines der Schwergewichte im Kabinett. Er teilt messerscharf aus. Er ist Großmeister im Schüren von Angst. Das Terrorthema reizt er grenzenlos aus.

Allerdings sind mit seiner Person auch die größten Schlappen der Regierung verbunden. Cheney hat energisch den Irakkrieg forciert. Bis heute nährt er die Behauptung – wider alle Fakten –, dass Saddam Hussein und Al Qaida zusammengearbeitet hatten. Und „Halliburton“ klebt wie eine Klette an ihm: Bevor er als Vize ins Weiße Haus einzog, war er der Chef des Unternehmens, das durch den Irakkrieg milliardenschwere Aufträge, ohne Ausschreibung, zugeschanzt bekam.

Edwards dagegen gilt zwar als integer, aber ihm fehlt es an Gravität. Sein größtes Manko ist die Unerfahrenheit. Auf diesem Gebiet könnte der Kontrast zu Cheney kaum augenfälliger sein. Außerdem benachteiligt ihn das Format der Debatte: Frei auf der Bühne oder hinter einem Podium brilliert der ehemalige Staranwalt. Doch diesmal sitzen die Diskutanten mit dem Moderator an einem Tisch. Das hat das Cheney-Team in den Verhandlungen durchgesetzt. Auf eine reine Sachdebatte darf Edwards sich nicht einlassen. Er muss, um zu punkten, auch die Person Cheneys attackieren. Das freilich liegt ihm nicht. Edwards hat immer an die Fairness im Wahlkampf appelliert. Er will Optimismus verbreiten.

Harter Fiesling gegen weichen Schönling. Darth Vader gegen Mr. Niceguy. Extremer könnten die Unterschiede nicht sein. Neugierig, nervös, gespannt: So erwarten die Amerikaner das nächste Duell. Wahlkampfverdrossen ist hier keiner – ein Sieger steht bereits fest: die Politik.

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