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Darüber spricht ganz …: ... Frankreich

Hans-Hagen Bremer über einen Journalisten, der wegen eines Leserbriefs wie ein Krimineller behandelt wird.

Im Morgengrauen klingeln drei Polizisten an der Tür des Journalisten. Er soll einer Untersuchungsrichterin vorgeführt werden. Der Journalist protestiert. Er sei sich keiner Schuld bewusst, sagt er. Die Polizisten halten ihm vor, er sei „schlimmer als Gesindel“. Sie sagen das in der Gegenwart des 14 Jahre alten Sohns, der aus dem Schlaf gerissen wurde und völlig verängstigt danebensteht. Vergeblich verlangt der Journalist, einen Anwalt seiner Zeitung zu sprechen. Dann wird er gefesselt und zum Gericht gebracht. Dort muss er sich nackt ausziehen, seine Kleidung wird durchsucht und man sperrt ihn in eine Zelle. Nach einer Stunde wird er wieder hervorgeholt. Wieder muss er sich, diesmal unter Androhung von Gewalt, bis auf die Haut ausziehen. Schließlich wird er, wiederum gefesselt, der Richterin vorgeführt. Sie eröffnet ihm, dass gegen ihn ein Untersuchungsverfahren wegen Verleumdung eröffnet sei und dass er mit Gewalt vorgeführt wurde, weil er einer Vorladung keine Folge geleistet habe. Dann darf er gehen.

Für Verleumdung droht in Frankreich allenfalls eine Geldstrafe. Trotzdem wurde der Journalist wie ein Schwerverbrecher behandelt. Passiert ist dieser Fall vor einigen Tagen in einem Pariser Vorort. Der Journalist, dem das Ganze widerfuhr, ist Vittorio de Filippis von der Zeitung „Libération“. 2006 war er vorübergehend ihr Herausgeber. In dieser Zeit veröffentlichte das Blatt eine Leserzuschrift, durch die sich ein in Affären verwickelter Unternehmer beleidigt fühlte.

Das unverhältnismäßige Vorgehen der Justiz hat die französische Öffentlichkeit schockiert. Linke wie rechte Parteien protestierten. Nur Justizministerin Rachida Dati und Innenministerin Michèle Alliot-Marie erklärten, die Behandlung von de Filippis sei „regulär“ gewesen. Damit sehen beide jetzt allerdings ziemlich alt aus, nachdem sich selbst Staatspräsident Nicolas Sarkozy betroffen zeigte und eine Revision der Vollzugsbestimmungen verlangte.

Wie de Filippis kann es jedem ergehen. Für „Reporter ohne Grenzen“ ist der Fall vor allem ein weiteres Beispiel für die Einschüchterung der Presse in Frankreich. Die Organisation verweist auf die anhängigen Verfahren, in denen Journalisten dazu gezwungen werden sollen, ihre Quellen preiszugeben. Das hat der französischen Justiz zahlreiche Rügen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingebracht. Auf der von „Reporter ohne Grenzen“ geführten Länderrangliste des Schutzes der Pressefreiheit nimmt Frankreich damit Platz 35 ein – nach Südafrika und vor Mali.

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