zum Hauptinhalt

Darüber spricht ganz …: … Rumänien

Thomas Roser über ein stählernes Raumschiff in Bukarest – mit 28 Kilometern Lichterketten.

Nahende Festtagsfreuden werfen in Rumäniens Hauptstadt Bukarest wuchtige Schatten voraus. Macht sich in mitteleuropäischen Breiten zur Vorweihnachtszeit ein Labyrinth hölzerner Knusperhütten in den Zentren der Städte breit, drängt es die Metropolen der EU-Neulinge zum weihnachtlichen Gipfelsturm. In den letzten beiden Jahren brüstete sich Polens Hauptstadt Warschau mit dem Titel des höchsten Weihnachtsbaums des Kontinents. In dieser Saison ist Bukarest dran: 76 Meter hoch überragt der stählerne Baumkoloss die Asphaltpisten und Einkaufstempel am Platz Unirii.

Nicht ohne Grund gilt Rumäniens Hauptstadt als Metropole von eher sprödem Charme. Doch obwohl sich zur erstmaligen Erleuchtung des Ungetüms über 100 000 Menschen im Zentrum von Bukarest drängten, stieß der stählerne Stadtschmuck auf eher kritische Stimmen im lokalen Blätterwald. So wie manche Rumänen sich Lichterketten in ihre alten Dacia-Autos hängen oder ihre muffelnden Pullover mit Frischluftsprays bearbeiten würden, putze sich Bukarest zur weihnachtlichen „Beton-Disko“ heraus, lästerte die Zeitung „Evenimentul Zilei“. Nur nachts, wenn alle Katzen grau und alle Bürgermeister intelligent aussähen, könne man sich von dem Lichtersegen verführen lassen; im Tageslicht wirke das Stahlgerüst „wie ein Raumschiff“, ätzt das Blatt: „Wir sind noch immer ein Volk, das sich für eine Handvoll Perlen kaufen lässt.“

Tatsächlich ist das 280 Tonnen schwere, betonverstärkte Metallgerippe eine Morgengabe einer Großbank, die in diesem Jahr auch die portugiesische Hafenstadt Porto mit einem „Millennium“-Baum in exakt derselben Höhe beglückte. Dass ausgerechnet südamerikanische Spezialisten die Montage der jeweils 28 Kilometer an Lichterketten um die Baumgerüste auf dem alten Kontinent überwachten, hat seinen guten Grund. Gefertigt wurden die Second-Hand-Bäume nämlich in Brasilien, wo sich deren Nachfolger längst in noch rekordverdächtigere Weihnachtssphären schrauben.

Der ersehnte Eintrag ins Guinnessbuch bleibt der künstlichen Festtagsfichte von Bukarest denn trotz hoffnungsfroher Presseerklärungen der Stadtväter wohl versagt. Während Bukarester Liebhaber des Lichterglanzes die fehlenden Rekordehren verschmerzen müssen, kann im weihnachtlichen Phallus-Wettstreit im fernen Dortmund neue Hoffnung keimen. Denn auch die an Sehenswürdigkeiten ansonsten eher arme Westfalen-Metropole beansprucht den höchsten Nadler des Kontinents für sich. Der dortige Festbaum misst zwar nur bescheidene 45 Meter, ist aber aus echten Fichten gefertigt.

Thomas Roser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false