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Meinung: Das aktuelle Buch: Was die Grünen falsch machen

Warum eigentlich gibt es die Grünen überhaupt noch? Warum ist diese Partei nicht längst an sich selbst gescheitert, warum ist die Regierung nicht am kleineren Partner zerbrochen?

Warum eigentlich gibt es die Grünen überhaupt noch? Warum ist diese Partei nicht längst an sich selbst gescheitert, warum ist die Regierung nicht am kleineren Partner zerbrochen? An dieser Frage kommt niemand vorbei, der sich durch das jüngste Werk des Hamburger Politikwissenschaftlers Joachim Raschke gearbeitet hat. Der passionierte Beobachter dieser Partei geht mit ihr in seinem Buch "Die Zukunft der Grünen" so streng ins Gericht, dass zum Schluss nur noch wenig Hoffnung zu bleiben scheint.

Raschke präsentiert nicht nur eine Aufzählung ausgelassener Chancen und eklatant falscher Entscheidungen, er leuchtet mit wissenschaftlicher Gründlichkeit auch deren tiefere Ursachen aus: Grundlegende Schieflagen und Blockaden der Parteikonstruktion wie die Trennung von Amt und Mandat gehören dazu sowie nicht zuletzt generationstypische und individuelle Macken der dominierenden Politiker. Für die Regierungspolitiker der Grünen muss dieses Buch mit dem bezeichnenden Untertitel "So kann man nicht regieren" eine Zumutung darstellen. Als Parteichef Fritz Kuhn in der letzten Woche in Berlin das gerade erschienene Werk vorstellte, musste er alle dialektische Kunst aufbringen, um die Politik seiner Partei gegen diesen materialreichen und analytischen Großangriff zu verteidigen.

Aber gerade bei den Grünen gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Kritik, mit der sich Fritz Kuhn auseinandersetzte, kommt nicht von einem Gegner oder gar Feind der Grünen. Der Politikwissenschaftler Raschke sitzt, mit Thermoskanne und Butterbroten ausgerüstet, nicht deshalb bei jedem Parteitag der Grünen auf der Tribüne, weil er diese politische Kraft für überflüssig oder gar schädlich hielte. Im Gegenteil: Hinter all der politikwissenschaftlichen Begrifflichkeit, hinter der disziplinierten Argumentation spürt man, dass diesem Professor förmlich das Herz blutet, weil die Grünen ihre Chancen eben nicht nützen. Raschke sieht in ihnen die einzige Kraft, die das Erbe der sozialen Bewegungen angetreten hat und postmaterialistische Werte in der Politik vertreten könnte. Die Chance hätten sie, denn es gibt genügend Wähler, die eine solche Politik fordern und mit ihrer Stimme auch honorieren würden. Nur das, was die Grünen aus diesen Möglichkeiten machen, das macht Raschke so viel Kummer wie Eltern ein Kind, das partout nicht diszipliniert von seinen Fähigkeiten Gebrauch machen will.

Mit riesigen Erwartungen waren die Bündnisgrünen im Herbst 1998 angetreten, Deutschland nach ihrem Bilde zu verbessern. Heute gelten sie als handzahmer kleiner Partner der sozialdemokratischen Regierungsprofis. Diesem Bild widerspricht Raschke nicht, er liefert dafür die Begründung. Die grünen Spitzenpolitiker sind für ihn fast unfähig, in einer Strategie des begrenzten Konflikts mit dem Koalitionspartner eigene Ziele durchzusetzen.

Denn nicht nur ihren Wählern, auch der Partei selbst ist unklar, wofür ihre Politiker stehen, was sie wollen. Mit dieser Unklarheit, meint Raschke, könnte die Partei noch leben. Für weitaus schlimmer hält er das Führungsversagen. Noch immer dominiert der Kampf der Strömungen die Partei, auch wenn die Linke nicht mehr über Gestaltungsmacht, sondern nur noch über Verhinderungsmacht verfügt.

Doch auch die Realpolitiker sind zuallererst dem eigenen Lager verpflichtet, auch sie handeln nicht für die Gesamtpartei. Was lange fehlte, ist ein strategisches Zentrum, das alle Strömungen einbindet und über sie hinaus grüne Politik steuert. Geradezu "verliebt in eigene Organisationsschwäche" erscheint die Partei ihrem Beobachter.

Abgeschlossen hatte Raschke das Buch zu einem Zeitpunkt, da Renate Künast und Fritz Kuhn gerade die Parteiführung übernommen hatten - für den Autor ein hoffnungsvoller Ansatz, der den Grünen im drohenden Ausscheidungswettkampf gegen die Liberalen bei der Bundestagswahl 2002 doch noch bessere Chancen garantieren sollte. Den beiden traute er es zu, die Partei an ihre Regierung zu binden und die eigenen Minister an eine dann selbstbewusstere und durchsetzungsfähigere Partei. Nur dann hätten die Grünen eine Chance, die nächste Bundestagswahl zu überleben.

Aber auch der Gebrauch der feinsten sozial- und politikwissenschaftlichen Instrumente, die Raschke gerne vor seinem Leser ausbreitet, taugt bekanntlich nicht zur Vorhersage der Zukunft: Inzwischen ist nach dem Sturz von Gesundheitsministerin Andrea Fischer Renate Künast zur Verbraucherministerin aufgestiegen und die Linke Claudia Roth als ihre Nachfolgerin ausersehen. Inzwischen ist auch eine Debatte über die linksradikale Vergangenheit zweier Minister über die Partei hereingebrochen. Sie stellt paradoxerweise die Führungsgestalten der zwei gegnerischen Strömungen, Joschka Fischer und Jürgen Trittin, vor ähnliche Probleme.

Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit den Erfahrungen der wichtigsten Grünen-Politiker in den wilden 70er Jahren. Seine Argumentation ist aufschlussreich, freilich so fein, dass sie keinem Unionspolitiker Munition gegen Joschka Fischer oder Jürgen Trittin liefern wird. Für den Politikwissenschaftler prägt die Haltung der Konfrontation, die Fischer, Trittin und viele andere Grüne in ihrer politischen Sozialisation in den 70ern gelernt haben, bis heute deren Stil - danach stilisiert sich gerade Fischer noch heute zum Kämpfer und versteht es nicht, gemeinsame Entscheidungen durch die Einbindung möglichst großer Parteiteile vorzubereiten. Dem beliebtesten Politiker der Grünen wirft Raschke übrigens vor, er habe aus persönlichem Ehrgeiz und Prestigedenken ein Ministerium gewählt, in dem er das Profil der Partei nicht ausspielen könne. Mit Fischer sitze der richtige Mann im falschen, mit Trittin der falsche Mann im richtigen Ministerium.

Die differenzierte Bilanz grüner Sacherfolge fällt wenig schmeichelhaft aus. Als besonders missglückt stellt er das Ergebnis beim Atomausstieg dar. Man darf sich noch einmal wundern, warum sich die grüne Basis schließlich der machttechnischen Erpressung - entweder ein Ja oder der Regierungsausstieg - beugte.

Bei der Reform des Staatsbürgerrechts kreidet der Autor der grünen Partei ebenfalls schlimme Fehler an: Sie wollte Politik an der Stimmung der Bevölkerung vorbei machen. Das einzige grüne Zentralthema, das Raschke nicht erkannt und untersucht hat, ist die Gentechnik. Aber dieses Thema entdecken die Grünen gerade selbst erst.

Raschke hat ein wissenschaftliches und damit oft nicht leicht zu lesendes Buch geschrieben. Vielleicht fällt seine Bilanz etwas zu negativ aus. Aber es ist mit Sicherheit das spannendste und aufschlussreichste Werk über das Innenleben der gegenwärtigen Bundesregierung, das auf dem Markt ist. Wer grüne Politik verstehen will, muss es lesen. Wer grüne Politik gestalten will, erst recht. Noch bleiben bis zur nächsten Bundestagswahl fast zwei Jahre Zeit, aus Fehlern zu lernen. HANS MONATH

Joachim Raschke[\"So], Die Zukunft der Grünen[\"So]

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