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Das Alter: Achten statt Ächten

Unfinanzierbare Rente, steigende Gesundheitskosten, zu viele künstliche Hüftgelenke: Das Alter scheint zu einem Problem geworden zu sein, zu einem kostspieligen.

Von Caroline Fetscher

Ey, Alter! Mit dem Anruf wenden sich ausgerechnet Jugendliche an ihre Kumpels. Oft signalisiert die Anrede umstandslose Nähe, meist auch leicht ironisch verkleideten Respekt, die Anerkennung des anderen. Vor dem echten Alter, den alten Menschen haben dieselben Jugendlichen in der Regel wenig Achtung und geben damit nicht selten nur weiter, was sie selber erfahren haben. Vielleicht schwingt in der Anrede, die scheinbar sinnentleert verwendet wird, der Rest eines Wunsches mit nach einer Gesellschaft, die vertrauensvolles Gefüge der Generationen kennt, das Achten der Alten wie der Jungen?

Über die Alten ist immer häufiger zu hören, was in der Politik auch gern über die Jungen gesagt wird, nämlich dass sie teuer sind, unproduktiv und keine profitable Zukunft haben. Unfinanzierbare Rentengarantie, steigende Gesundheitskosten, zu viele neue Hüftgelenke: In aktuellen Schlagzeilen ist das Alter meist ein Problem, ein kostspieliges. In der Werbung dagegen finden sich mobile, zahlungskräftige Pensionäre, interessant als Zielgruppe für Kreuzfahrtangebote wie für stärkende Kräutersäfte. Beide Porträt-Genres spiegeln nur Fragmente der Realität wider. Es stimmt, dass das Alter nicht mehr ist, was es mal war, oder jedenfalls mal sein sollte. Alter bedeutet meist nicht mehr den Rückzug ins bedächtige Beobachten des Treibens der Welt, als lebenssatter Zaungast. Viele der Rentner von heute tragen Jeans und T-Shirts, haben in ihrer Jugend Rock ’n’ Roll gehört, sind online vernetzt und bilden sich weiter. Ganz hanseatische Sphinx, gibt der 92-jährige Ex-Kanzler Helmut Schmidt noch immer bissige Interviews und ist beliebter als alle Jüngeren zusammen.

Die „Uhus“, wie die Unterhundertjährigen neuerdings genannt werden, wollen noch allerhand vom Leben. Und sie werden immer mehr. Eine alternde Gesellschaft verlängert zwar das Jungsein und sie transformiert die Generationenfrage – aber noch kaum unseren Diskurs. Der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft lässt sich am Umgang mit ihren schwächsten Gruppen messen, also auch an ihrem Verhältnis zu den Kleinsten und den Ältesten, zu Kindern und Rentnern. Auffällig ist hier, dass und wie diese beiden Gruppen im öffentlichen Diskurs primär als problematisch gelten, als teuer oder lästig. Aus wessen Perspektive, in wessen Diskurs? Aus dem Blickwinkel derer, die ökonomisch und politisch akut im Einsatz sind, an der Macht. Diese Gruppe beklagt unter Bedauern und mit Sorgenfalten die Kosten für Kitaplätze und Pflegeplätze, die Forderungen nach höheren Renten oder niedrigen Betreuungsschlüsseln an Schulen und Kindergärten.

Erstaunlich daran ist der kardinale Denkfehler, mit dem suggeriert wird, die Generationen seien drei getrennte, konkurrierende Gruppen, die wie ökonomische Klassen miteinander im Wettstreit liegen. Dabei ist jeder Mensch im Lauf des Lebens drei Generationen, das gilt auch für die Weichensteller von heute. Sie waren Kinder, sind erwerbstätige Erwachsene und werden Rentner sein. Bei Tag und bei Nacht dreht sich die Erde, Zeit vergeht immerzu.

Ey, wir altern. Und zwar alle. Zwei Richtungen kennt die Zeitachse in der Physik, das Vergangenheitsunendliche und das Zukunftsunendliche. Auf einem geheimnisvollen Punkt der Achse halten wir uns jeweils im imaginären Jetzt auf. Zur egoistischen Fixierung auf diesen Punkt kommt es, wenn die Logik der Zeitachse geleugnet und verdrängt wird. Diesen Vorgang, der an allererster Stelle die Entsolidarisierung, die Entkoppelung der Generationen bewirkt, verdankt die Gesellschaft der Blindheit derer, die meinen, über das Heute zu herrschen, ohne je Kinder gewesen zu sein oder jemals Rentner zu werden. Das inakzeptable Resultat davon heißt Empathiearmut, die dümmste Armut, die es gibt, Denn sie ist eine vollkommen vermeidbare. Erster Schritt zum Beenden der Empathiearmut wäre mehr Bewusstsein für die Zeitachse, denn der Punkt „jetzt“ auf der Achse ist pure Illusion.

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