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Das Bild Helmut Kohls: Der große und der kleine Mut

Das Jahr 1989 ist in diesen Monaten gegenwärtig, Erinnerungen blitzen auf, so hell, als sei wieder "damals", als die Mauer fiel. Ein Film, allerdings ein bemerkenswerter, muss Helmut Kohl in unser Gedächtnis zurückrufen, den Kanzler, der länger als jeder andere an der Spitze dieses Landes gestanden hat.

Der Mann aus der Pfalz ist Geschichtsstoff geworden – ohne je als Altvorderer in seiner Partei zu wirken wie es Hans-Dietrich Genscher bis heute versteht oder als Elder Statesman das Weltgeschehen zu kommentieren wie Helmut Schmidt.

Hätten wir ohne den Film viel an Kohl gedacht, der das weltbewegende Jahr 1989 mit seiner Handschrift geprägt hat? Seine Gedanken begleiten wie ein innerer Monolog den fiktionalen Kohl des Fernsehfilms. Und ähnlich entrückt wie diese Stimme ist uns der Mann, der 16 Jahre Deutschland regiert, Europa gestaltet, die deutsche Einheit ermöglicht hat. Der seine Partei ein Vierteljahrhundert geführt, den Zusammenhalt der Unionsparteien gegen Franz Josef Strauss verteidigt, die CDU erst reformiert hat, um sie dann mitsamt der vereinten Nation schläfrig zu halten gegen die neuen Herausforderungen. Es war fast ein Glück für die CDU, dass der schon abgewählte Kanzler als Ehrenvorsitzender vom Sockel stürzte. Denn die Emanzipation von Kohl, die Angela Merkel den Christdemokraten abverlangt hat, wäre ohne die Spendenaffäre kaum möglich gewesen.

Längst ist dieser Skandal im öffentlichen Bewusstsein eingeordnet in die Lebensleistung dieses Kanzlers. Die Verfehlung wird heute milde beurteilt. Und in mildem Glanz steht der ganze Kohl, der doch in seinen späten Zeiten durch seine bloße Erscheinung ausdrückte, dass er zu einem kolossal Übermächtigen geworden war.

Als es ganz und gar darauf ankam, 1989, hatte dieser Machtmensch genug Demut, um zu spüren, dass Geschichte in diesem Moment nicht von mächtigen Politikern, sondern von Millionen Menschen gemacht wurde, deren Sehnsüchten und Hoffnungen er entsprechen musste. Dass die „blühenden Landschaften“ die alte Bundesrepublik nichts kosten würden, war die kleinmütige Kehrseite der großartigen Weitsicht. Die deutsche Einheit musste schnell kommen, weil nur ein kleines Zeitfenster offen stand, um die mächtige Bewegung der Ostdeutschen gegen die Vorbehalte der vier Mächte produktiv zu machen.

An Konrad Adenauer und Willy Brandt hat sich die Volksfantasie zu Amtszeiten entzündet. Höchst selten aber nur am Gemütsmenschen Kohl, der demonstrativ nie anders sein wollte als das von ihm regierte Volk. Brandt wurde geschmäht, der Amtsneuling Kohl nur verspottet. Die Anerkennung für die Größe, die er 1989 bewiesen hat, haben ihm die Deutschen einmal, in ihrer großen Anteilnahme am Tod seiner Frau, voller Gefühl gezeigt.

Gemessen an Amtsdauer, Macht und Größe ist das Urteil über Helmut Kohl seltsam gleichmütig geworden. Aber das sagt womöglich mehr über uns aus als über den Altkanzler. Hat er uns nicht erlaubt, über die alte Zeit hinaus die bundesdeutschen Wohlstandsgefühle zu pflegen, nachdem er selbst das neue Kapitel aufgeschlagen hatte? Und war es uns nicht recht? Heute wissen wir, dass wir mit seiner Hilfe über unsere Verhältnisse gelebt haben und die späten Reformen teurer geworden sind als rechtzeitige hätten sein können. Die CDU, das Deutschland des Jahres 2009, erkennt sich nicht mehr in Kohl. Gut so? Nicht nur.

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