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Meinung: Das Ende der Mir: Erstes Haus im All

Es waren nur zwei Tagesreisen von der Erde aus zur russischen Raumstation Mir. Eine unbequeme Himmelfahrt, wie in einem überfüllten Aufzug.

Es waren nur zwei Tagesreisen von der Erde aus zur russischen Raumstation Mir. Eine unbequeme Himmelfahrt, wie in einem überfüllten Aufzug. Oben angekommen, öffnete sich die Luke, und die Astronauten schwebten durch ein Gewirr aus Kabeln und Schläuchen in ein lautes Metallgehäuse. Das Rattern der Elektrik konnte aber nicht von dem sich nun bietenden Ausblick auf die Erde ablenken. Schwarzblau lag sie da und wechselte fortan immer wieder die Farbe. Alle 90 Minuten ein Sonnenaufgang. Und zu der anderen Fensterseite hinaus ein Meer von Sternen.

Dieses Panorama ist allen in lebendiger Erinnerung geblieben, die in den vergangenen 15 Jahren die Erde verlassen haben, um die Mir zu besuchen. Die Raumstation soll morgen früh im Pazifik versenkt werden. Sie war eine bescheidene, aber sie war die erste beständige Wohnstätte im All. Bis zu 14 Monate lang harrten Astronauten in den zusammengesteckten Röhren aus. Stets in Reichweite der Erde und zugleich unter dem spürbaren Eindruck, Bewohner eines unendlichen Weltalls zu sein.

Die Betrachtung der Erde und des Kosmos von himmlischer Warte aus war aber nicht das primäre Ziel der Raumfahrtmission. Es sind unbemannte Forschungssatelliten, die uns Einblick in die globalen Klimaveränderungen, die Wanderung der Kontinente oder die Entstehung des Weltalls geben.

Der Bau der Mir war vor allem eine gelungene Machtdemonstration der Sowjetunion. Es war der dritte Coup nach dem Start des Sputnik und dem Flug Jurij Gagarins. Nun winkte ein ganzes Team von Kosmonauten den Menschen zu: Schaut her, wir haben die Begrenzungen des Erdballs dauerhaft überwunden. Von hier draußen werden wir vielleicht sogar eines Tages die ganze Welt beherrschen.

Die Ingenieure hatten allen Widrigkeiten des Alls zum Trotz ein Haus über den Wolken errichtet. Die Natur hatte das nicht vorgesehen. Sie band alle Menschen bis dato an die Erde. Nirgends sonst fanden sie Sauerstoff, Wasser und was sie noch zum Leben brauchen.

Mit der Mir hat sich dies geändert. Und da Techniker die Grenzen der allzu kleinen Erdkugel nun einmal unter größten Anstrengungen überwunden hatten, wollten sie nicht mehr dahinter zurücktreten. Die russische Pioniertat musste umgehend bestätigt, noch übertroffen werden. Daher kreist inzwischen ein bald dreimal größeres "Weltraumhaus" um den Globus: die von 14 Staaten getragene Internationale Raumstation.

Wieder hat der Mensch eine Parzelle im nahen Weltraum urbar gemacht. Der Preis für dieses Fleckchen Freiheit ist hoch: Die Internationale Raumstation ist das mit Kosten von 200 Milliarden Mark teuerste Raumfahrtprojekt aller Zeiten. Das tut der Begeisterung des Homo faber keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die neue technische Großtat vor Augen, hegt er bereits Pläne für eine Reise zum Mars.

Die Deklaration zum Gemeinschaftsakt steigert die Kraft der Verführung. Ihr Ursprung aber liegt woanders. Die Mächtigen ziehen ihren Hut heute immer öfter vor dem, der die Natur zu bewältigen verspricht, und nicht mehr vor dem, der sich als Grundlagenforscher erst einmal "nur" anschickt, sie zu verstehen. Die Bundesregierung fördert die bemannte Raumfahrt und hat für Beobachtungen mit unbemannten Satelliten kaum Geld übrig. Für Projekte, die uns heute helfen könnten, die Umweltbedingungen auf der Erde oder auf benachbarten Himmelskörpern zu studieren.

Ähnliches ist in der Genomforschung zu sehen. Auch hier soll der zweite Schritt möglichst schon vor dem ersten erfolgen. Nicht die Verheißungen eines besseren Verständnisses unserer selbst, der menschlichen Entwicklung, haben die Politiker freigiebiger gemacht. Erst seit mit Craig Venter ein patenter Macher auf den Plan getreten ist, wittern alle Morgenluft und öffnen den Geldhahn weit.

Die Grundlagenforschung hat bei uns leider an öffentlichem Ansehen eingebüßt. Dabei tragen die durch sie gewonnenen Erkenntnisse heute mehr denn je zu verantwortungsvollem Handeln bei. Sie hat uns jedenfalls einen weiteren Blick in den Kosmos und in irdische Tiefen eröffnet, als er den Astronauten in ihren zwar teueren, aber zweitklassigen Labors wie der Mir oder der Internationalen Raumstation jemals gewährt wird.

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