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Meinung: Das Ende der Regulierer

Die Rechtschreibreform wird modifiziert werden – und die deutsche Seele hat Ruh

Jetzt wird zurückgerudert. Nein, nicht „zurück gerudert“ (im Unterschied etwa zu „hin gesegelt“), sondern wirklich zurückgerudert. Sie merken: Es ist mal wieder von der schon halb gekenterten Rechtschreibreform die Rede. Und nach einigen Länderministerpräsidenten plädiert nun auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss dafür, die neue Rechtschreibung nach fünf Jahren Probelauf zu überdenken und sie keinesfalls wie geplant am 1. August 2005 in allen Schulen für endgültig zu erklären.

Diese Reform hat uns, weil sie eine der wenigen überflüssigen im Lande war, seit Jahren schleichend genervt. Erst nahmen Schriftsteller und Journalisten, die von Beruf und Leidenschaft wegen in der Sprache zu Hause sein sollten, die Sache nicht recht ernst. Manche dachten: Das Haus der Sprache ist so groß und hat so viele Zimmer – und was seit Anfang der 90er Jahre sich ein paar weitgehend unbekannte Sprachwissenschaftler im Bunde mit irgendwelchen Bürokraten in den Kultusministerien auszudenken begannen, das bleibt sowieso im Keller, in der Abstellkammer, allenfalls im Kinderzimmer.

Das war indes falscher Hochmut. Denn in den Kinder- und Schulzimmern wird ja die Sprache von morgen gelesen und geschrieben (soweit dort überhaupt noch der Alphabetismus herrscht). Andererseits musste man die neuen Sprachregler auch nicht zu wichtig nehmen, weil Schrift und Sprache zwar Grundregeln brauchen, aber in allen kulturellen Sphären von Jung bis Alt und vom Volksmund bis zur Hochpoesie ohnehin ihre eigene lebendige Dynamik entfalten.

So sehen wir heute eine friedliche (wenngleich nicht unbedingt fröhliche) Koexistenz. Die wesentlichen Schriftsteller veröffentlichen zumeist in der alten Rechtschreibung, die Zeitungen haben, bis auf die „FAZ“, größtenteils die neue Rechtschreibung übernommen, und viele Schüler sind froh, wenn sie, so oder so, überhaupt noch was Richtiges schreiben.

Zuletzt hat eine zwölfköpfige, sich selbstherrlich zum deutsch- schweizerisch-österreichischen Verfassungsorgan aufschwingende „Zwischenstaatliche Kommission“ aus Rechtschreibreformern festgestellt, dass zu ihrem „amtlichen Regelwerk“ noch etwa 3000 Schreib-Varianten existieren. Und die wolle man als Zugeständnis „an gespeicherte Sprachschemata“ einer „gezielten Variantenführung“ unterwerfen. So der Originalton der Sprachreformer.

Keiner weiß, warum wir unbedingt „Paragraf“ und „Orthografie“ (und nicht mal konsequent deutschgriechisch „Ortografie“) schreiben sollen, aber Filosof und Filosofie dann doch zu peinlich klängen. Freilich erwägt die Sprachkommission ernstlich, weltweit gebräuchliche Anglizismen wie Pop und Strip in „Popp“ und „Stripp“ einzudeutschen, um irgendwann bei „poppulär“ und „Strippties“ zu enden.

Nein, es ist schon richtig, wenn wir nach kurzen Vokalen jetzt „ss“ statt „ß“ schreiben. Und dennoch – entgegen Christina Weiss – „ich weiß“ schreiben und zwischen „Maßen“ und „Massen“ unterscheiden. Im übrigen (klein schreiben, weil nicht alles Übrige gemeint ist!) sollte wieder zwischen „leid tun“ und dem gegenteiligen „Leid antun“ unterschieden, also Worte statt nach abstrakten Regeln nach ihrem Sinn beurteilt werden. „Wieder gewinnen“ bedeutet eben etwas anderes als „wiedergewinnen“. Insoweit ist die Reform der Reform überfällig und die Deregulierung nicht schwer. Ein paar Federstriche und der Verweis auf die in Wörterbüchern und Realität ohnehin üblichen Varianten genügen.

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