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Meinung: Das Ende des Monsters

Von Dieter Fockenbrock Politik ist die Kunst der Kompromisse. Wer wüsste das besser als die Kommissare der Europäischen Union in Brüssel.

Von Dieter Fockenbrock

Politik ist die Kunst der Kompromisse. Wer wüsste das besser als die Kommissare der Europäischen Union in Brüssel. Einem von ihnen, Mario Monti, ist wieder einer gelungen. Nach jahrelangem Gezerre wird der Vertrieb von Autos in Europa liberalisiert. Endlich. Noch meckern Betroffene, aber die Aufregung ist schon längst nicht mehr so groß wie noch vor Monaten. Da malten vor allem die Deutschen Horrorszenarien an die Wand. Bis zu 100 000 Arbeitsplätze waren nach Meinung von Gewerkschaftsfunktionären gefährdet.

Im seltenen Schulterschluss mit den Arbeitgebern in der Automobilindustrie kämpften sie gegen die Abschaffung eines Wortmonsters – der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) – und damit gegen das Ende von ungewöhnlichen Ausnahmeregelungen für den Autohandel. VW, Mercedes & Co. durften sich laut GVO nämlich ihre Händler und Werkstätten aussuchen. Und diese Vertragspartner konnten dann auch noch mit Exklusivrechten ausgestattet werden, zum Beispiel mit dem ausschließlichen Verkaufsrecht für eine Marke in einer ganz bestimmten Stadt. Industrie und Gewerkschaften fanden diese massive Behinderung des Wettbewerbs offensichtlich prima, nur die Öffentlichkeit nicht. Schließlich haben potenzielle Autokäufer nichts gegen die Aussicht auf sinkende Preise.

Das sah auch Monti so. Doch kaum war der Wettbewerbskommissar kurz davor, die GVO zu kippen, entdeckte der deutsche Kanzler seine alte Liebe zur Autoindustrie. Gerhard Schröder war ja mal Ministerpräsident des Bundeslandes, in dem der größte europäische Automobilbauer zuhause ist.

Schröder schlug in Brüssel auf den Tisch, Monti zuckte kurz zusammen, ließ sich aber nicht beirren. Die Deutschen argumentierten mit der Gefährdung von Arbeitsplätzen bei mittelständischen Händlern und Werkstätten. Sie sahen auch Qualität, Garantieleistungen und Sicherheit den Bach hinuntergehen.

Alles vorgeschobene Argumente, konterte Monti. Warum sollte Wettbewerb ausgerechnet beim Autohandel nicht funktionieren? Bei anderen, nicht weniger komplizierten Produkten geht es ja auch. Für den massiven Widerstand konnte es nur einen Grund geben: Mit dieser Ausnahme vom Kartellrecht wird kräftig Geld verdient. Und das sollte auch so bleiben, wünschten die Lobbyisten.

In der Tat ist der Autovertrieb in Europa einer der letzten Bastionen, die von Rationalisierungspäpsten, Kostenkillern und Schnäppchenjägern noch nicht gestürmt wurde. In der Produktion und bei der Materialbeschaffung sind die Margen längst ausgequetscht.

Dass der Spielraum offenbar groß ist, weiß jeder Autokunde, der in flauen Zeiten zehn Prozent Rabatt beim Neuwagenkauf herausholen kann. Dass der Spielraum noch größer sein muss, zeigen die Preisunterschiede für ein und das gleiche Modell in Europa. Bis zu 34 Prozent sind es – und man darf doch wohl annehmen, dass die Hersteller selbst im Niedrigpreisland noch Geld verdienen.

Solche Zahlen ließen Kommissar Monti nicht ruhen. Sein Ziel, die Ausnahmen für den Autovertrieb komplett zu kippen, hat er zwar nicht erreicht. Mit dem jetzt gefundenen Kompromiss können aber alle gut leben. Autos von Aldi sind weiter kein Thema, aber VW tritt künftig gegen VW an und nicht nur gegen Opel. Die Preise werden sinken. Und bald muss niemand mehr ans Mittelmeer fahren, um sich günstig einen Neuwagen zu kaufen.

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