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Meinung: Das jüngste Gericht lässt auf sich warten

Von Caroline Fetscher Heute tritt das Römische Statut für den Internationalen Strafgerichtshof in Kraft. Ein Menschheitstraum wird Wirklichkeit.

Von Caroline Fetscher

Heute tritt das Römische Statut für den Internationalen Strafgerichtshof in Kraft. Ein Menschheitstraum wird Wirklichkeit. Noch allerdings ohne die USA, Russland und China. Der Tag ist da, von dem Immanuel Kant geträumt hat: ein „Weltbürgerrecht" als Voraussetzung für den „Ewigen Frieden". Ab heute – nicht jedoch rückwirkend – sind alle schweren Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit potenziell Gegenstand künftiger Prozesse vor den Richtern des „International Criminal Court" (ICC) mit Sitz in Den Haag, wo auch das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien tagt.

Alle Staaten der Europäischen Union haben das Statut ratifiziert und bereits 74 der 139 Unterzeichner. Zuletzt kamen Australien und Bolivien dazu, Uganda und Uruguay, Lettland und Namibia. Wermutstropfen für die breite Koalition der ICC-Advokaten, die heute ihren großen Erfolg feiert, bleibt die Haltung der USA. Nicht nur, dass sie die von Bill Clinton geleistete Unterschrift inzwischen für ungültig erklärt haben. Sie versuchen mit vielen Mitteln den ICC zu konterkarieren, etwa indem sie kleinere Länder einschüchterten und mit der Kürzung von Entwicklungshilfe drohten, sollten sie das Statut ratifizieren. Nun wollen sie sogar ihre Unterstützung für die Uno-Friedensmissionen streichen, sollten US-Peacekeeper nicht ausdrücklich von der möglichen Strafverfolgung durch den ICC ausgenommen werden.

In Amerika gehört zum Eid auf die Flagge auch diese Zeile: „With liberty and justice for all." Gleichheit vor dem Gesetz, Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger, diese Prinzipien sind konstitutiv für das große, multikulturelle Land. Auch in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA eine treibende Kraft für die Strafjustiz gegenüber NS-Tätern.

Unter Präsident Bush jr. und erst recht nach dem 11. September haben die USA eine, wie die „New York Times“ schrieb, regelrechte „Paranoia" gegenüber dem ICC zum Blühen gebracht. Dabei soll der ICC nur eingreifen, wenn ein Land schwerste Verbrechen nicht selbst ahndet – weil das Rechtssystem zusammengebrochen oder keine Regierung vorhanden ist. In der Regel sollen mutmaßliche Täter in ihrem eigenen Staat vor Gericht gestellt werden. Der ICC ist ein Reserve-Gericht für Notsituationen.

In der EU hofft man, dass die USA allmählich Vernunft annehmen. Doch das wird, wenn überhaupt, eine Weile dauern. Diese Phase sollte die EU nutzen, um zu einem eigenständigen internationalen Akteur zu reifen – und den USA freundschaftlich über die Schwelle zu helfen, wenn es soweit ist.

Wer viele hochrangige Straftäter in Den Haag erleben möchte, wird sich gedulden müssen. Völkerrechtler schätzen, dass es etwa fünf Jahre dauern werde, bis die ersten Fälle vor den ICC kommen. Zunächst wird er Fälle ablehnen, weil sie nicht unter das Statut fallen; der erste Prozess muss ein unumstrittener, klarer Präzedenzfall sein. Der Weg zum Weltstrafgericht hat Jahrhunderte gedauert – und Revolutionen in der Rechtsgeschichte bestehen aus Paragrafen, Artikeln und deren Auslegung. Dennoch, die ethisch bewusster werdende Erdbevölkerung hat heute Grund zu feiern.

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