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Meinung: Das kleinere Übel

Erstaunlich viele Amerikaner halten Bush immer noch für wählbar – der könnte in einer zweiten Amtszeit zum Pragmatiker werden

Der US-Präsident stellt sich der Wiederwahl. Die Europäer fürchten, jemand, den sie für einen Kriegstreiber halten, könnte wiedergewählt wird. Er ist hart und herzlos in seiner Rhetorik, und wenn er das Böse in der Welt verurteilt, greift er zu biblischer Sprache. In seiner Amtszeit fallen amerikanische Soldaten dem Terror im Nahen Osten zum Opfer und zu seinem Beraterstab gehören Neokonservative wie Paul Wolfowitz.

Hört sich an wie George W. Bush? Das war Ronald Reagan 1984. Reagan gewann dann haushoch. 20 Jahre danach stellt sich George W. Bush dem Nominierungsparteitag der Republikaner und es sieht so aus, als könne er Reagans Erfolg wiederholen.

Viele Europäer sehen in ihm einen Stümper und Lügner, der die USA im Irak in einen Krieg hineingezogen hat, der nicht zu gewinnen ist. Viele Amerikaner sehen in ihm einen Stümper und Lügner, der die USA im Irak in einen Krieg hineingezogen hat, der nicht zu gewinnen ist. Aber eine genauso große Anzahl von Menschen sieht etwas anderes: einen Mann mit festen Überzeugungen, der die USA vor Terroristen und anderen Feinden beschützt.

Wofür europäische und amerikanische Linke Bush hassen, genau dafür lieben ihn seine Anhänger. Er ist ein gottgläubiger Mann, der dem unmoralischen Treiben, das im Weißen Haus unter Clinton außer Kontrolle geraten war, ein Ende gesetzt hat. Bush hat die Steuern dramatisch gesenkt und eine schleppende Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht. Ohne Frage, der eine oder andere Liberale kritisiert die fehlende Fairness seiner Steuersenkungen. Aber was ist fair an der Arbeitslosigkeit? Wenn die Reichen mehr Geld zur Verfügung haben, hat jeder etwas davon, da es von oben nach unten durchsickert.

Und außenpolitisch hat Bush in den Augen seiner Befürworter ebenfalls deutlich Stellung bezogen. Anders als die Drückeberger von den Demokraten, die erst Verbündete konsultieren, sich auf internationale Organisationen verlassen und US-Souveränität an ausländische Richter abgeben. Im Gegenteil, Bush hat den Rest der Welt ordentlich zusammengefaltet, als er das Kyoto-Protokoll abgelehnt hat und den Internationalen Gerichtshof.

Und genauso ließen ihn seine Sittlichkeit und seine Entschlossenheit nach dem 11. September nicht lange zögern. Stattdessen riet Bush den anderen Nationen, dass sie entweder auf Seiten Amerikas oder auf der anderen sein könnten, und stellte so ein Bündnis zusammen, das die Taliban stürzte. Und als alle außer Großbritannien, Australien und einigen osteuropäischen Nationen den Irakkrieg nicht absegnen wollten und der UN-Sicherheitsrat sich störrisch zeigte, ließ Bush sich trotzdem nicht abschrecken. Ihm ging es nicht darum, die so genannte internationale Gemeinschaft zufrieden zu stellen, sondern die USA so gut er es konnte zu verteidigen, wann und wo es auch immer notwendig war.

Statt sich wie die Europäer auf Kuschelkurs mit Terroristen zu bewegen und mit ihnen irgendwelche Deals zu machen, ließ Bush keinen Zweifel daran, dass er sie ausrotten werde. Seine präventive Kriegspolitik führte der Achse des Bösen vor Augen, dass die guten alten Zeiten, als die USA wegschaute, wenn es um die Proliferation von Nuklearmaterial und die Unterstützung von Terroristen ging, vorbei sind. Auch ist der Irakkrieg keine Katastrophe. Im Gegenteil, Bush hat nie davon geredet, dass er schnell vorüber sein werde. Der Widerstand gegen die Besatzungstruppen beweist im Gegenteil, wie richtig das militärische Unternehmen war, dass die Terroristen sogar viel hartnäckiger und zahlreicher sind als vermutet. Durch Bushs feste Haltung sind Afghanistan und Irak keine Rückzugsgebiete mehr für Terroristen und Libyen unter Ghaddafi kein Land mehr, das sich Atomwaffen beschaffen will. Wie viel mehr kann von einem Präsidenten realistischerweise erwartet werden?

Alles, was der in Europa so geliebte Clinton erreicht hat, war, eine Arzneimittelfabrik im Sudan und ein verlassenes Trainingscamp in Afghanistan in die Luft zu jagen. Ein ums andere Mal scheiterte Clinton im Kampf gegen den Terror und schwächte das Militär. Bush dagegen beendete die Passivität der Clinton-Ära, in der Amerika selig schlief, während der Al-Qaida-Sturm sich zusammenzog. Das jedenfalls ist das Bild, das viele Bush-Anhänger von ihrem Präsidenten haben.

Ein Grund dafür, dass Bush sich gegen die Homo-Ehe und die Stammzellenforschung positioniert hat, ist, dass er den Kulturkampf, oder zumindest den Anschein davon, braucht, um seine Basis bei Laune zu halten. Karl Rove, sein politischer Machiavelli, glaubt, dass die letzten Wahlen deshalb so knapp ausgingen, weil ein paar Millionen evangelikaler Wähler zu Hause blieben. Das soll nicht noch einmal passieren. Aber wenn Bush auf der einen Seite seine Basis zufrieden stellen muss, so muss er auf der anderen Seite auch in die traditionellen demokratischen Wählerschichten einbrechen etwa in Industriestaaten wie Michigan, wo eine steigende Zahl von Jobs verloren gehen, die nach China oder anderswohin outgesourct werden.

Gefallen den Arbeitern Bushs Steuerkürzungen? Natürlich nicht. Aber die Arbeiter sind gesellschaftlich konservativ und betrachten den Linksruck innerhalb der demokratischen Partei bei Themen wie Homo-Ehe und Abtreibung mit Ablehnung. Deshalb muss Bush Zweifel über Kerrys Position in diesen Fragen anfachen, um andererseits zu vertuschen, was mit der Wirtschaft passiert.

Aber das ist ein vertracktes Geschäft. Wenn er gesellschaftliche Fragen zu sehr betont, verliert Bush die berühmten Wechselwähler – die Unentschlossenen, die eine Wahl in beide Richtungen entscheiden können. Dabei handelt es sich um Moderate, die nicht besonders politisch sind. Die wohlhabenden so genannten „Soccer Moms“ und „Silicon Valley Fathers“, die den rüden Ton der „Er-hat-gesagt-sie-hat-gesagt“-Kampagnen nicht mögen. Deshalb wird der Parteitag der Republikaner diese Woche zur Scharade, in der moderate Republikaner wie Arnold Schwarzenegger und der ehemalige Bürgermeister von New York, Rudolph Giuliani, die besten Auftritte bekommen, während die feuerschnaubenden gesellschaftlich Konservativen vom Scheinwerferlicht ferngehalten werden, was denen gar nicht gefällt.

Mehr noch, die republikanischen Strategen hoffen inständig, dass die geplanten Proteste in New York so viel Anarchie wie möglich verursachen. Nichts würde mehr in die Hände der Republikaner spielen, als Proteste mit Kerry zu verbinden, die wie eine Wiederauflage des Aufruhrs beim demokratischen Parteitag von 1968 in Chicago aussehen, wo die Anti-Vietnam-Proteste zu frontalen Zusammenstößen zwischen Hippies und der Polizei führten.

Das Ergebnis war, dass Demokraten als gefährliche Verrückte angesehen wurden, denen man den Staat nicht anvertrauen konnte. Und so versuchen die Republikaner auch tatsächlich, Kerry mit den extremen Elementen der damaligen Antikriegsbewegung in Verbindung zu bringen, zum Beispiel mit Jane Fonda, die während des Vietnamkrieges nach Hanoi reiste. Es gibt wenige Dinge, die Kerrys Ansehen und seinen Wahlchancen mehr schaden könnten.

In gewissem Sinne muss Bush die Wechselwähler nicht davon überzeugen, für ihn zu wählen; er muss sie nur davon überzeugen, nicht gegen ihn zu stimmen, indem sie für Kerry votieren. Bush will Kerry als einen Radikalen darstellen, der Amerika nicht nur nach außen hin gefährlich schwächen will, sondern auch nach innen. Indem er genug Zweifel an Kerry weckt, kann er unentschiedene Wähler überzeugen, dass es besser ist, mit dem Übel, das sie kennen, vorlieb zu nehmen, als jenes Übel zu wählen, das sie nicht kennen.

Um dem Vorwurf zu entgehen, er sei ein außenpolitisches Weichei, hat sich Kerry, der für den Krieg gestimmt hatte, bisher fast jeder Kritik an Bushs Irakpolitik enthalten. Aber solange Kerry verschweigt, was er mit dem Irak vorhat, abgesehen von dem verlogenen Versprechen, die US-Truppen zum Teil durch internationale Kontingente ersetzen zu wollen, warum sollten ihn die Amerikaner wählen? Ein Bush light ist für das Wahlvolk nicht gerade inspirierend.

Der größte Teil von Kerrys Programm ist Augenwischerei. Abgesehen von ein paar vagen Versprechen, Amerikas Energieverbrauch unter anderem durch die Gründung eines Think-Tanks, der sich mit dem Thema beschäftigt, senken zu wollen. Was für ein Unsinn! Es gibt bereits unendlich viele solche Institute, und zum Energiesparen braucht man keine Quantenphysik: Man muss nur den Kilometerverbrauch der Autos senken. Aber daran wagt sich Kerry nicht heran – aus Angst, Wähler vor den Kopf zu stoßen.

Das einzige Thema, zu dem sich Kerry im Detail geäußert hat, sind seine eigene Heldentaten im Vietnamkrieg. Zu Recht. Kerry war ein Held. Und er hatte auch Recht, als er nach seiner Rückkehr aus Vietnam gegen den Krieg Position bezog. Aber er hat damit eine weiche Flanke für den hinterhältigen Vorwurf geschaffen, er sei in den USA zum Verräter geworden. Möglicherweise liegt es auch an diesem Vorwurf, dass er laut der jüngsten Umfrage seinen Vorsprung vor Bush noch vor dem Parteitag der Republikaner eingebüßt hat. Die fiese Taktik der Rechten erinnert an den Vorwurf, Deutschland habe den 1. Weltkrieg wegen der Novemberverbrecher verloren.

Eine neue Dolchstoßlegende wurde ins Leben gerufen, nach der Kerry und die anderen Demonstranten den Feind unterstützt und so schließlich zur Niederlage beigetragen hätten. In seinem neuen Buch „Reckless Disregard“ schreibt zum Beispiel Oberstleutnant Robert „Buzz“ Patterson, dass Kerry „Verrat“ begangen habe und für sein Verhalten Anfang der 70er Jahre sogar zum Tode verurteilt werden könnte. Als nächsten Schritt wird das Bush-Wahlkampfteam sicher das Abstimmungsverhalten der „Taube Kerry“ im Senat thematisieren, wo er regelmäßig gegen die Erhöhung des Militärbudgets gestimmt hat.

Würde eine Wiederwahl von Bush die transatlantischen Beziehungen belasten? Möglicherweise, aber nicht, weil er wie in seiner ersten Amtszeit ein militärisch intervenierender Präsident sein würde. Denn schon gibt es einige Sirenenstimmen in der republikanischen Partei, die ihn auffordern, amerikanische Truppen abzuziehen. Viele Konservative haben keine Sympathie mehr für Bush, werden aber dennoch für ihn stimmen. Für sie besteht der wirkliche Konservativismus in kluger Zurückhaltung, nicht in der globalen Förderung der Demokratie.

Auch moderate Neokonservative wie Francis Fukuyama fürchten, dass der Irakkrieg dazu führen wird, dass die Konservativen dem Isolationismus nachgeben werden. Er fragt sich in der letzten Ausgabe des „National Interest“, warum die Neokonservativen um Bush so optimistische Ansichten über den Wideraufbau des Iraks hatten: „Wenn die Vereinigten Staaten die Armut in Washington D.C. nicht abschaffen können, wie können sie dann erwarten, die Demokratie in einen Teil der Welt zu bringen, der diese bisher hartnäckig verweigert hat und bis ins Mark antiamerikanisch ist?“

Und Fukuyama ist nicht allein. Eine drastische und gefährliche Analyse stammt vom Isolationisten Patrick J. Buchanan. In seinem neuen Buch „Where the Right went wrong“ erklärt Buchanan, dass die USA immer am besten damit gefahren sind, wenn sie mit verlässlichen Diktatoren wie Franco und Salazar zu tun hatten und dass sie die Idee der Verbreitung der Demokratie aufgeben sollten. „Wir müssen das Imperium aufgeben, die Truppen heimholen und die alten Vertragsverpflichtungen auslaufen lassen.“ Selbst wenn Bush dem Weg Buchanans nicht folgen wird, so wird er doch zweifellos zurückstecken, nachdem er den Sumpf im Irak erlebt hat, auch wenn er das öffentlich so nicht nenen kann.

Erinnern Sie sich, dass Ronald Reagan in seiner zweiten Amtszeit zum Pragmatiker wurde, mit Michail Gorbatschow verhandelte und Abrüstungsverträge anstrebte? Harte Worte wurden durch lindernde Abkommen ersetzt. Wenn Bush wiedergewählt wird und zum wahren Erben Reagans werden will, dann muss er sich enger an dessen Fußstapfen halten, als manche sich heute vorstellen können.

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