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Meinung: Das Knie gebeugt

Von Martin Alioth Die Irisch-Republikanische Armee, eine illegale und deshalb geheimnisumwitterte Organisation, hat einen Quantensprung vollführt: Durch ihre Entschuldigung an die Angehörigen ihrer über 1500 Opfer hat sie plötzlich die Mitverantwortung für dreißig Jahre Blutvergießen übernommen. Damit verlässt die IRA die Opferrolle und zeigt sich als Täterin.

Von Martin Alioth

Die Irisch-Republikanische Armee, eine illegale und deshalb geheimnisumwitterte Organisation, hat einen Quantensprung vollführt: Durch ihre Entschuldigung an die Angehörigen ihrer über 1500 Opfer hat sie plötzlich die Mitverantwortung für dreißig Jahre Blutvergießen übernommen.

Damit verlässt die IRA die Opferrolle und zeigt sich als Täterin. Das heißt aber nicht, dass man gleich die Lesart unbelehrbarer Protestanten übernähme und im Nordirlandkonflikt lediglich eine kriminelle Verschwörung sähe. Aber es ist kaum zu bestreiten, dass die Aktivitäten der IRA den Konflikt verlängert und vertieft haben.

Beobachter in der Republik Irland haben der Reue-Erklärung eine noch größere Bedeutung beigemessen: Für sie handelt es sich um das verklausulierte Eingeständnis der IRA, dass „der Krieg“ in ihren Augen beendet ist. Es wäre aber schön, diese Formulierung direkt zu hören.

Für den britischen Premierminister Tony Blair und seinen fähigen Nordirlandminister John Reid bringt das einseitige Zugeständnis der IRA dennoch eine willkommene Erleichterung. Die britischen Behörden müssen in den nächsten paar Tagen – vermutlich am nächsten Mittwoch – neue Spielregeln für Nordirlands Untergrundverbände bekannt geben.

Vor acht Jahren, als protestantische und katholische Paramilitärs ihre Feuerpausen verkündeten, definierten sie ihr Stillhalten als Verzicht auf militärische Operationen, als Ende somit der Mordanschläge auf Polizeibeamte, Soldaten – und Zivilisten. Doch seither hat sich die IRA einiges zuschulden kommen lassen: Angefangen von Waffenimporten aus den USA, über Komplizenschaft mit den FARC-Rebellen in Kolumbien, den Morden an angeblichen Drogenhändlern, der Willkürjustiz in katholischen Wohnvierteln Nordirlands, bis hin zu einer tragenden Rolle bei zahlreichen Krawallen, ntlich in Belfast. Den Protestanten wird das alles allmählich ungeheuerlich. Denn schließlich sitzt die Zwillingsschwester der IRA, die Sinn- Fein-Partei, mit zwei Vertretern in der nordirischen Regierung. Die Frage nach den langfristigen Absichten der IRA ist legitim. Zweimal schon hat sie einen Teil ihrer Waffenarsenale aus dem Verkehr gezogen, um genau diesen Nachweis der eigenen Friedfertigkeit zu erbringen, aber die Signale bleiben widersprüchlich.

Nordirlands Chefminister David Trimble spürt den Atem seiner parteiinternen Widersacher im Nacken; im nächsten Mai finden nordirische Wahlen statt, die Trimble durchaus seine dominante Position im protestantischen Lager kosten könnten. Deshalb bestand Trimble darauf, dass London die Spielregeln neu formuliert: Was darf die IRA noch, und was führt zum Ausschluss der Sinn-Fein-Minister aus der Regierung?

Der Neubeginn ist willkommen, denn auf die Dauer kann es nicht angehen, dass eine Regierungspartei über eine Privatarmee verfügt – eine Armee allerdings, die ihren martialischen Stolz den Bedürfnissen ihrer politischen Sprecher unterordnet, ob es nun um Waffenlager oder um Entschuldigungen geht. Und das ist wohl das positivste Element der jüngsten Erklärung. Es wäre allerdings angebracht, dass auch die Protestanten gelegentlich ihr Knie beugten, auch sie tragen Mitverantwortung für den Konflikt – obwohl sie damals nicht selbst schossen.

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