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Meinung: Das Kreuz mit dem Tuch

Im Schulunterricht haben religiöse Symbole nichts zu suchen Von Özcan Mutlu

Im Grunde entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass in der westlichen Welt ein Quadratmeter Stoff zu einem der wichtigsten Symbole für die schwierige Selbstfindung der multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft geworden ist. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen es muslimischen Frauen erlaubt sein soll, sich das Textil von der Größe einer Caféhaustischdecke um den Kopf zu wickeln, wird hierzulande bis auf Weiteres ein Dauerbrenner bleiben. Der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Begehren der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin, auch während des Unterrichts ein Kopftuch tragen zu dürfen, hat dies vorerst sichergestellt. Statt eines klaren Entwederoder, das für ganz Deutschland Rechtssicherheit geschaffen hätte, und klarer Aussagen zum Neutralitätsgebot des Staates, hat das Gericht eine Art Nicht-Entscheidung getroffen.

Frau Ludin darf zunächst auch mit Kopftuch unterrichten, einfach deswegen, weil es noch kein Gesetz gibt, das ihr dies verböte. Gleichzeitig ist den jeweiligen Landesgesetzgebern ausdrücklich freigestellt, solche Verbote zu schaffen. Demnächst können wir mit bis zu sechzehn verschiedenen Regelungen rechnen. Selbst wenn sich die Länder einigen sollten, wird es auf einen Kompromiss hinauslaufen, der die konkrete Entscheidung in der Praxis dann doch wieder den jeweiligen Behörden oder Ministerien überlässt.

Mit seiner Entscheidung hat das Gericht den Ball in die politische Arena zurück geworfen. Dort wird die Angelegenheit weiterhin im gesamten Spektrum zwischen harter Ablehnung und falsch verstandener Toleranz diskutiert werden – und vermutlich über kurz oder lang doch wieder in Karlsruhe landen. Allerdings darf die Ablehnung des Kopftuchs im staatlichen Schulunterricht nicht so begründet werden, wie das jetzt zum Beispiel aus Hessen und Bayern wieder zu hören ist. Es geht nicht um eine Hervorkehrung christlicher Traditionen, auf denen unser öffentliches Schulsystem angeblich beruht. Entscheidend ist vielmehr, dass religiöse Symbole und religiös-ideologische Propaganda in der staatlichen Schule grundsätzlich nichts zu suchen haben, weder eine sich islamisch noch sonst wie gebende.

Zweifellos hat auch eine verbeamtete Lehrkraft das Recht auf freie Religionsausübung und kann dies im Privatleben durch Symbole und Zeichen aller Art zu bekunden. Im Unterricht hat sie jedoch diesbezüglich dezent aufzutreten. Denn das „islamische“ Kopftuch wird weder als modisches Accessoire noch als rein privater Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses verstanden, sondern als plakative Darstellung eben einer bestimmten Ideologie. Man muss unterstellen, dass dies in aller Regel auch so gemeint ist. Der Koran behandelt die Frage nach dem öffentlichen Auftreten der Frau an fünf verschiedenen Stellen, ein Gebot der Kopf-Verschleierung lässt sich nicht finden.

Mit dem kompromisslosen Beharren auf dem Kopftuch unter allen Umständen werden mindestens unterschwellig bestimmte Ideologien, besonders hinsichtlich der Rolle und des Selbstverständnisses der Frau, transportiert, die über das rein religiöse Bekenntnis weit hinausgehen. In einer Demokratie ist es natürlich nicht verboten, Ideologien aller Art zu vertreten, nur darf dies nicht in der staatlichen Schule geschehen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für den Islam, sondern für jedwede sich religiös oder weltanschaulich begründende Haltung.

Es geht hier auch nicht darum, unsinnige Ängste vor dem Islam oder den Muslimen zu schüren, sondern um ein unmissverständliches Festhalten am Prinzip des religiös neutralen öffentlichen Schulsystems. Und in diesem ist ein ideologisch so aufgeladenes Zeichen, wie es das Kopftuch heute nun einmal darstellt, durchaus kontraproduktiv. Darüber hinaus wird die Gesellschaft ihre Balance zwischen dem positiven religiösen Bekenntnis einerseits und dem Recht auf negative Religionsfreiheit andererseits noch finden müssen.

Der Autor ist bildungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin . Foto: Michael Ebner / Meldepress

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