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Kontrapunkt: Das päpstliche Verkehrshindernis

Kaum 24 Stunden weilt der heilige Vater in dieser unheiligen Stadt. Aber das reicht für einen mittleren Aufruhr, schreibt Lorenz Maroldt in seinem Kontrapunkt. Dabei gehen die Berliner sonst doch so stoisch mit Ähnlichem um.

Heute, Kinder, wird’s was geben: Das Christkind… nein quatsch, der Papst kommt. Um halb elf landet er in Tegel, dann wird er durch die Stadt kutschiert, erst zum Schloss Bellevue, Treffen mit dem Bundespräsidenten, dann zur Vertretung der Deutschen Bischofskonferenz in Mitte, zum Bundestag, ins Olympiastadion, dann zum Südstern in die Nuntiatur, am nächsten Morgen wieder nach Tegel – und Abflug.

Kaum 24 Stunden weilt der heilige Vater in dieser unheiligen Stadt, aber das reicht für einen mittleren Aufruhr. Denn das Oberhaupt der katholischen Kirche wird von vielen vor allem als ärgerliches Verkehrshindernis wahrgenommen, und das in mehrfacher Hinsicht. Da sind zum einen die Lesben und Schwulen, die sich über die Sexualmoral der Kirche erregen. Da sind zum anderen alle anderen, die sich am Donnerstag irgendwie durch die Stadt bewegen müssen, aber kaum durchkommen werden wie sonst, ganz egal, wie sie unterwegs sind.

Und dann gibt es noch diejenigen, die im Papst vor allem das Oberhaupt der Pädophilen sehen. Dazu kommen ein paar dutzend Bundestagsabgeordnete, die den Auftritt des bösen Benedikt im Parlament aus allen genannten und weiteren 99 Gründen boykottieren wollen. Wenn der Papst kommt, flippt tout Berlin aus vor Ärger, von den paar Katholiken, den immer Neugierigen und den komplett Abgeschalteten mal abgesehen.

Man muss kein Freund des Papstes und des Katholizismus sein, um das ein wenig seltsam zu finden. So seltsam wie das Verhalten der Linken-Abgeordneten, die den als Staatsoberhaupt des Vatikans in den Bundestag Geladenen so unerträglich finden, dass sie das Hohe Haus verlassen müssen, wenn er kommt, deren Parteispitze aber dem Genossen Fidel Castro fröhlich zur geglückten Verfolgung von Dissidenten in Kuba gratuliert.

So seltsam wie die plötzliche Aufregung der Berliner, die sonst mit stoischer Ruhe jede Straßensperre wegen des Staatsbesuchs homosexuellenfeindlicher ausländischer Politiker, Despoten und Menschenrechtsverletzer ertragen, die sich gelassen hinter Pferdekutschen, Segwayhorden, Bierbiker, Hundeschlitten und Touristenbuskolonnen einreihen, die sich von den zu Events aufgeblasenen Privatvergnügen irgendwelcher Feierwütiger, Fußgänger, Skater und Radfahrer das ganze Jahr über die Straßen versperren lassen, die brav am 1. Mai ihre Fenster verrammeln, die jeder Störung der öffentlichen Ordnung und des geregelten Ablaufs als gelungene Belebung des Berliner Lifestyles huldigen, die aber, wenn einmal in 500 Jahren der Papst kommt, ihm unbedingt ihre Verachtung nahe bringen wollen und sich zugleich über vorsorglich versiegelte Gullys, ein paar Absperrgitter und Umleitungen an der Route des Papamobils erregen. Ja klar, es wird die Hölle. So wie meistens. Na und? Wollen wir doch mal die Kirche im Dorf lassen.

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