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Das Phänomen Trittin: Ein Mann für alle Optionen

Während alle die Frauenquote diskutieren, liebäugeln ausgerechnet die Grünen mit dem Ende der Doppelspitze - und Jürgen Trittin als alleinigem starkem Mann für die Wahl 2013. Wird Renate Künast nach ihrem Berlin-Debakel ausgebootet?

Von Hans Monath

Wer mit der Zeit gehen will, muss irgendwann auch heilige Kühe schlachten. In der Parteipolitik ist eine heilige Kuh eine historisch überlebte Praxis, die dennoch gleichsam religiösen Rang genießt. Nicht weil sie vernünftig ist und gute Ergebnisse bringt, sondern weil sie als unantastbar gilt, wird die Praxis immer weiter gepflegt. So wie die doppelt quotierte Spitze bei den Grünen, in der stets mindestens eine Frau und zugleich beide politischen Flügel der Partei, nämlich Realpolitiker und Linke, vertreten sein müssen.

Doch nun ist klar, dass ein wichtiger Teil der Grünen diese Doppelspitze für den Bundestagswahlkampf 2013 infrage stellt. Seitdem am Wochenende Renate Künast auf dem Bundestreffen der grünen Realpolitiker mit ihrem Auftritt nur dröhnendes Schweigen erntete, steht die Ökopartei vor zwei paradoxen Entwicklungen: Viele Realpolitiker können sich vorstellen, mit dem linken Führungspolitiker Jürgen Trittin als alleinigem Spitzenkandidat in den Wahlkampf 2013 zu ziehen. Und die Parteilinke, die eigentliche Gralshüterin der alten Praxis, wird die quotierte Doppelspitze nicht gegen den Machtanspruch des eigenen Vertreters verteidigen. Einfach zu verstehen waren die Grünen noch nie.

Selten ist der Machtverfall einer Politikerin zugleich so leise und eindrucksvoll dokumentiert worden wie durch die rund 150 Realpolitiker aus der ganzen Republik, die ihrer prominentesten Vertreterin jeglichen Beifall verweigerten. Dabei ging es nicht nur um die Fehler und den dramatischen Absturz der Berliner Wahlkämpferin. Die hatte behauptet, sie werde Klaus Wowereit ablösen und selbst im Roten Rathaus regieren, und schaffte es mit ihrer Partei dann nicht einmal mehr in den neuen Senat. Dass auch ihre Berliner Machtbasis erodiert, machte spätestens der Abschied ihres Vertrauten Volker Ratzmann aus dem Abgeordnetenhaus deutlich.

Viel mehr als Künasts Fehler im Wahlkampf hatte die Realpolitiker empört, dass die Politikerin aus der Hauptstadt nach dem Debakel schnell ihre eigenen Unterstützer verriet, nur um vom eigenen Unvermögen abzulenken. Im Gleichklang mit Trittin und ohne Absprache mit dem eigenen Flügel verhängte Künast eine Art Reichsbann gegen Schwarz-Grün. Solche Bevormundung aus der Hauptstadt aber lassen sich Grüne nicht gern gefallen. Zumal sie das Schwarz-Grün-Verbot als Angriff auf jenen "Kurs der Eigenständigkeit" verstehen, der den "Realos" besonders wichtig ist.

Zwar gibt es keinen namhaften Realpolitiker, der sich heute Angela Merkels CDU für 2013 als Ersatz-FDP und Mehrheitsbeschaffer andient. Doch für den Kurs der Eigenständigkeit statt für Treueschwüre zu Rot-Grün als einziger Koalitionsoption gibt es gute Gründe: Allein auf rot-grüne Wechselwähler zu setzen, garantiert nach den gegenwärtigen Umfragewerten SPD und Grünen noch lange keinen Sieg. Erst die Bindung von Wählern jenseits des linken Lagers, das hat auch der Sieg Winfried Kretschmanns in Baden-Württemberg gezeigt, macht Grüne und Sozialdemokraten mehrheitsfähig.

Jürgen Trittin, der immer staatsmännischer und seriöser auftritt, je mächtiger er wird, ist zu klug, um nun seinen Durchbruch zu feiern. Der Parteilinke wird so bescheiden reden wie lange nicht mehr. Das ist das letzte Paradox einer an Paradoxien reichen Partei: Nur ein wirklich starker Trittin könnte, wenn das im Bund jemals anstehen sollte, die Grünen in ein schwarz-grünes Bündnis führen.

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