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Meinung: Das Prinzip Geh-du-voran

Große Ambitionen, kleine Taten: Die Nato und der Streit um den Afghanistaneinsatz

Die Nato ist im letzten Jahrzehnt vom Verteidigungs- zum Interventionsbündnis geworden. Schließlich sind die unmittelbaren, gegen die territoriale Integrität einzelner Nato-Staaten gerichteten Bedrohungen seit dem Ende des Kalten Krieges erheblich zurückgegangen. Aber ebenso, wie sich das Einsatzgebiet geändert hat, das heute potenziell die ganze Welt umfasst, haben sich auch die Anforderungen gewandelt.

Es ist heute nicht mehr nötig, massiert mit Panzerarmeen in Kontinentaleuropa zu stehen. Wichtiger ist die Beweglichkeit auch kleiner Verbände über große Entfernungen hinweg. Auch die Aufgaben, auf die die Nato vorbereitet sein sollte, haben sich verändert. Der Ernstfall ist nicht mehr der allumfassende kriegerische Konflikt. Die Missionen der Zukunft werden eher dem Einsatz im Kosovo oder in Afghanistan ähneln: Stabilisierung eines Landes und Staatsaufbau sind die neuen Herausforderungen. Was auch bedeutet, dass die beim nation building benötigten nichtmilitärischen Kompetenzen eine größere Rolle spielen.

Beim Streit um Afghanistan geht es deshalb um mehr als um das Paradox, dass als Lehre aus Deutschlands militaristischer Geschichte heute Soldaten einstiger Weltkriegsgegner anstelle der deutschen Kollegen ihr Leben riskieren. Am Hindukusch entscheidet sich vor allem die Identität des Bündnisses: Ob die Nato den Aufgaben, die sie nach Meinung aller Mitglieder in Zukunft übernehmen soll, überhaupt gewachsen ist.

Der Widerwille der Partner beim Gipfel in Riga, die benötigten Mittel und Soldaten für Afghanistan zur Verfügung zu stellen, weist auf ein strukturelles Problem hin: Der Nato fiel es leichter, im Kalten Krieg auf eine unmittelbare Gefahr wie den Ostblock zu reagieren als heute weltweit Ordnungsfunktionen – auch im Auftrag der UN – mit zu übernehmen. Weil die Bedrohungen, die von Afghanistan, Somalia, Kongo und anderen Konflikten ausgehen, von den meisten Bürgern als zu abstrakt angesehen werden, als dass man dafür viel riskieren möchte. Zudem setzt sich auch in der Nato das Prinzip Verantwortungslosigkeit durch, das so viele internationale Institutionen lähmt: Jeder weiß in Sonntagsreden immer zu sagen, was zu tun wäre, im konkreten Fall sollen dann lieber die anderen vorangehen.

15 Jahre nach der Selbstauflösung der Sowjetunion bleibt die Nato also ein Bündnis auf der Suche nach einem neuen Auftrag – einem, der die Interessen aller vereint, ohne die Mittel der geschichtsmüden europäischen Länder zu überfordern. Deshalb wäre es richtig, auch die Sicherheit der Energieversorgung zu einem Nato-Thema zu machen. Genauso wie es wünschenswert ist, dass die Nato wieder zum zentralen Ort der strategischen Debatte im Westen wird.

Es ist aber kaum zu übersehen, dass die Idee des „Westens“ unter dem Irakkrieg erheblich gelitten hat und heute fast wie eine nostalgische Reminiszenz an die Zeit der Blockkonfrontation daherkommt. Die Zukunft der Nato hängt aber nur von einem ab: vom politischen Willen seiner Mitglieder, Soldaten, Ressourcen und politische Energie in das effektivste multilaterale Ordnungsinstrument zu investieren, das die Welt kennt. Leider hat sich in Riga abermals gezeigt, dass die Rhetorik vieler Partner – auch die Deutschlands – ambitionierter ist als die Bereitschaft zur Selbstverpflichtung.

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