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Meinung: Das reformatorische Licht ist verdunkelt

„Luther als Logo und Label“ vom 13. November Claudia Keller hat recht: Die evangelische Kirche macht es sich theologisch zu leicht.

„Luther als Logo und Label“

vom 13. November

Claudia Keller hat recht: Die evangelische Kirche macht es sich theologisch zu leicht. Die Freiheit bzw. die Mündigkeit des evangelischen Christen ist auch eine Verpflichtung, das Erreichte ständig in Zweifel zu ziehen, um immer wieder

zeitgemäße Antworten auf alte Fragen

zu finden. Die Erbauungsbücher der

vormaligen Bischöfin erfüllen diese

Aufgabe nicht.

Luther revoltierte einst gegen die Bevormundung der Gläubigen durch eine heuchlerische und selbstherrliche Priesterschaft, indem er den Menschen an der Basis durch seine Bibelübersetzung in ihre vertraute Sprache („Man muss dem Volke aufs Maul schauen ...“) Zugang zu den biblischen Schriften verschaffte, so dass sie selber Gottes Wort lesen und

darüber urteilen konnten. Er riskierte sein Leben, um die Menschen zu ermutigen, kritische und mündige Christen zu werden.

Es ist heute an der Zeit, auf andere Weise überholte Dogmen infrage zu stellen, vor allem die Jungfrauengeburt und die leibliche Auferstehung des Individuums. Beide Dogmen waren bereits Klischees in der Entstehungszeit des Neuen Testaments.

Gott begegnet uns nur in der Güte unseres Nächsten. Ob es im Kosmos eine reglementierende Macht gibt, brauchen wir nicht zu wissen, weil es auf unser (gesellschaftliches, humanes) Handeln keinen Einfluss haben kann. Den Mut, das zu predigen, haben die meisten Theologen nicht.

Wer hätte gedacht, dass gerade der Papst an der Spitze einer erstarrungsbedrohten Hierarchie es wagt, an diesem Gebäude zu rütteln und die Fragen des Neuen Testaments neu zu stellen? Dennoch muss er das über Jahrhunderte entwickelte Gebäude nicht zerstören: Wer seine Dogmen braucht, sollte sie behalten. Hätte es nicht an der Basis der beiden christlichen Konfessionen Menschen gegeben, die im Sinne der Bergpredigt gehandelt haben, sie wären längst an ihrem Dogmatismus erstickt.

Unsere Kirchen in Deutschland sind aufgeklärte Kirchen, für die eine Trennung von Staat und Kirche selbstverständlich ist. Aus dem Grunde darf man ihnen auch in der Politik besonderes

Gehör schenken.

Man muss es den lutherischen Christen lassen: Sie bemühen sich um Toleranz und Verständigung zwischen den drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum, Islam, also um Ökumene. Doch da ist noch viel zu tun.

Unter dem katholischen römischen Kaiser deutscher Nation, Karl V., wäre ich mit meinen Ansichten Anlass für

ein Volksfest mit flammendem Autodafé gewesen.

Ingeborg Jacobs, Berlin-Lichterfelde

Claudia Keller schreibt: „Bitte weniger Plauderprotestantismus und mehr Ernsthaftigkeit, mehr echte Zweifel und Debatten ums Eigentliche.“ Dem stimme ich vollauf zu. Seit langem ärgere ich mich über das in unserer Kirche verbreitete oberflächliche Geschwätz von der Freiheit, das der tiefen lutherischen Spiritualität und Theologie überhaupt nicht

gerecht wird.

Wir haben die Wahrheit des Evangeliums, die Luther wieder ans Licht gebracht hat, nicht als selbstverständlichen Besitz, sondern sind immer wieder in der Gefahr, sie zu verlieren. Nach meinem Eindruck ist das reformatorische Licht in Kirche und Theologie heute weithin verdeckt und verdunkelt. Deshalb gilt es, das eigentliche Anliegen Luthers von Neuem zu erkennen. Dabei geht es um sein radikales Verständnis von Sünde und Gnade, um seine klare Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und nicht zuletzt um seine sehr kritischen Ausführungen zu dem Verhältnis von Glaube und Vernunft.

Die Gewissheit, mit der Luther seinen Glauben bekannte, erscheint befremdlich und ärgerlich in unserer Zeit,

in welcher der Relativismus Kirche und Theologie beherrscht. Der Relativismus herrscht, wo die Vernunft herrscht, die uns dazu treibt, dass wir uns nicht an dem orientieren, was Gott uns Menschen offenbart hat, sondern an dem, was wir Menschen über Gott denken. Wenn aber unser Reden von Gott nichts anderes ist als eine Widerspiegelung unserer menschlichen Gedanken und Vorstellungen, haben unsere Glaubensaussagen eben nur eine relative Bedeutung. Und dann sind wir nicht mehr eine

Kirche der Reformation.

Pfarrer Reinhard Sadecki,

Berlin-Steglitz

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