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Ein "Zombie" demonstriert am Jahrestag der Räumung der Liebig 14.

© Reuters

Debatte um Gentrifizierung: London ist kein Vorbild

Zum Jahrestag der Räumung des Hausprojektes in der Liebigstraße gewinnt die Diskussion um das Thema Gentrifizierung neue Schärfe - und begriffliche Unschärfe. Eine Gegenrede.

Neue Spießer, Kleinrevolutionäre, Blockwarte – diese und schlimmere Vergleiche sind im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Räumung des ehemals linken Hausprojektes Liebig 14 zu lesen. Der Blick richtet sich dabei auf den leider manchmal auch gewalttätigen Kampf gegen Verdrängung – und den Begriff der Gentrifizierung.

Doch wer ausschließlich auf die Ereignisse rund um die Liebigstraße schaut und der Subkultur-Szene den Umzug empfiehlt, fasst das Blickfeld zu eng.

Es entspricht nun mal nicht dem Selbstverständnis einer linken Szene, die sich mit ihren Wohnprojekten ja gerade gegen die rein kapitalistische Verwertung der Stadt richtet, die weiße Flagge zu hissen, sobald Immobilienhaie vor der Tür stehen.

Ziel der Bewegung gegen Gentrifizierung ist vielmehr der Erhalt von Freiräumen, die in der Tradition der Hausbesetzerbewegung stehen und gegen das Profitstreben einiger weniger verteidigt werden sollen. Die Frage ist schlichtweg: In welcher Stadt wollen wir leben – und wer entscheidet, wie diese Stadt auszusehen hat?

Bei dem Begriff Gentrifizierung geht es nicht ausschließlich um linke Subkultur und Wohnprojekte wie die Liebig 14. Letzteres fungiert lediglich als Symbol für den Konflikt um die Innenstadt. Das Wort bezeichnet einen Prozess, der in erster Linie Geringverdiener und Arbeitslose betrifft. Räumungen und Verdrängung durch Mieterhöhungen finden täglich in dieser Stadt statt – im Kleinen und im Verborgenen. Der Blick richtet sich selten auf diese Ereignisse, es sei denn, die Bewohner wissen sich sie zu organisieren und zu wehren. Die Räumung der Liebig 14 konnten Demonstranten und Bewohner nicht verhindern. Aufmerksamkeit erzeugen konnten sie sehr wohl.

Und diese Aufmerksamkeit ist wichtig, denn Verhältnisse wie in Paris oder London können eben nicht das Ziel in Berlin sein. Beide Metropolen haben massive Probleme mit ihren Vorstädten. Die französischen Banlieues mag man sich hier nun wirklich nicht wünschen. Und auch London taugt nicht als Vorbild: In kaum einer Stadt treten soziale Gegensätze so deutlich zu Tage wie in der britischen Metropole. Von „Urbanem Kolonialismus“ und „Super-Gentrification“ sprechen Stadtforscher im Zusammenhang mit London, wo in Stadtteilen wie Barnsbury selbst gutverdienende Mittelschichtshaushalte Verdrängungsprozessen ausgesetzt sind. Gentrifizierung macht nicht unbedingt vor einer bestimmten Einkommensklasse halt. 

Forscher, die sich ein Bild von der sozialen Lage eines Kiezes machen wollen, schauen mitunter auf das Verhältnis von Spielhallen zu Bioläden. In Gebieten mit überproportional vielen Automatencasinos ist auch die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch. Biosupermärkte gelten hingegen als Indikator für sozialen Aufstieg. Stadtviertel mit einem Mix aus beidem gelten als ausgewogen und attraktiv.

Doch eine solche Kiezmischung gelingt nicht, wenn Investoren das Feld Stadtentwicklung überlassen wird, deren Verwertungsinteresse auch mit dem Wunsch nach Erhalt von Freiräumen kollidiert. Die Debatte um die Stadt kommt um den Begriff Gentrifizierung nicht herum. Und die Wahl der Mittel des Widerstands muss in der linken Szene selbstkritisch diskutiert werden, soll das Anliegen nicht in Krawall-Berichterstattung untergehen. Denn, wie heißt es so schön: „Wer das Wort Gentrifizierung kennt, ist schon Teil des Problems.“

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