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Meinung: Debatte um Religionsunterricht: Wohin mit der Wertevermittlung?

Die schulische Aufgabe der Wertevermittlung darf nach Ansicht der SPD nicht an Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften delegiert werden." So heißt es in einem Beschluss der Berliner SPD vom vergangenen Samstag.

Die schulische Aufgabe der Wertevermittlung darf nach Ansicht der SPD nicht an Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften delegiert werden." So heißt es in einem Beschluss der Berliner SPD vom vergangenen Samstag. Diese Aussage provoziert. War man sich ihrer Tragweite bewusst? Ist die Schule ein Besitztum des Staates, der einzelne Aufgaben an andere delegiert? Und ist es der Staat, der über die Werte verfügt, die vermittelt werden?

Der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat, so hat der frühere Bundesverfassungsrichter Böckenförde - übrigens ein Sozialdemokrat - immer wieder betont, lebt von Voraussetzungen, die er selbst weder hervorbringen noch garantieren kann. Aber dem Staat kann nicht gleichgültig sein, ob sich solche Voraussetzungen bilden und erneuern. Deshalb schafft er in der Schule Raum für einen Religionsunterricht, der nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Die Kirchen nehmen dabei nicht einen an sie delegierten Staatsauftrag wahr, sondern leisten aus ihrer eigenen Bildungskompetenz einen Beitrag zur öffentlichen Schule.

Die organisatorischen Formen, in denen das in Berlin geschieht, haben sich überlebt. Darin sind sich alle einig, die sich an den Berliner Schulen auskennen. Trotzdem nehmen immerhin hunderttausend Schüler am Religionsunterricht teil. Die SPD hält das nicht einmal der Erwähnung für wert. Sie nennt sogar die Weltanschauungsgemeinschaften noch vor den Kirchen.

Seit Jahren wurden Vorschläge entwickelt, wie christlicher Religionsunterricht besser in der Schule zu verankern ist, wie islamischer Religionsunterricht seinen Ort findet und wie ein angemessenes Angebot für Schüler aussieht, die keinen Religionsunterricht besuchen wollen. Nach diesen Vorschlägen sollen mehrere Unterrichtsfächer der religiösen, philosophisch-ethischen oder weltanschaulichen Bildung in einer Fächergruppe eingerichtet und zur Zusammenarbeit verpflichtet werden. Seit 1994 wurden hier durch den Schulversuch Ethik/Philosophie wichtige Einsichten gewonnen.

Diese Vorschläge haben in Berlin und anderswo viel Zustimmung gefunden. Natürlich wurde eingewandt, dass eine solche Fächergruppe Mehrkosten verursache. Das stimmt; aber das Geld würde wirksamer eingesetzt als gegenwärtig. Die SPD freilich schlägt ein neues und zusätzliches Pflichtfach vor; das würde ungleich mehr kosten. Doch die Finanzen werden gar nicht erwähnt; das wäre bei der gegenwärtigen Haushaltslage auch tollkühn.

Schulsenator Klaus Böger hatte vor mehr als einem Jahr seine Initiative vor allem deshalb ergriffen, weil er das Problem des islamischen Religionsunterrichts lösen muss. Dazu aber trägt ein staatliches Pflichtfach Philosophie/Ethik überhaupt nichts bei. Deshalb ist vom Problem des islamischen Religionsunterrichts im Beschluss der SPD auch gar nicht erst die Rede.

Die Philosophie aber wird bei einem solchen Vorhaben überfordert. Sie fragt danach, was vernünftig ist. Sie kann aber nicht sagen, was Menschen dazu bewegt, vernünftig zu handeln. Sie kann nicht sagen, wie menschliches Leben Sinn gewinnt und worin seine unveräußerliche Würde begründet ist. In der Berliner Schule soll ihr eine Aufgabe aufgebürdet werden, die allenfalls im Dialog mit religiösen Traditionen und Bekenntnissen zu erfüllen ist. Die Schule braucht deshalb die Begegnung mit gelebten Überzeugungen. Im Beschluss der SPD ist dafür kein Raum vorgesehen. Dabei kann es nicht bleiben.

Wolfgang Huber

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