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Debatten über den Staat: Die Pornografie der Demokratie

In Frankreich oder Italien wird über die Demokratie noch scharf diskutiert. In Deutschland dagegen wird ein seltsamer Kult darum betrieben. Vielleicht liegt es ja daran, dass die demokratische Erziehung der Deutschen von außen kam.

"Das Emblem unserer Zeit, sein Fetisch, der die nackte bilderlose Macht mit einem falschen Bild bedeckt, das ist das Wort ,Demokratie‘“, schreibt der französische Philosoph Alain Badiou. „Es ist heutzutage eine gefühlsmäßige Pflicht, Demokrat zu sein.“ Aber diese Verpflichtung hindere an politischem Handeln und Einsichten. „Wir müssen uns die demokratische Sentimentalität aus den Seelen reißen.“ Die Demokratie ist für Badiou „die Pornografie unserer Zeit“, so auch der Titel des schmalen Bändchens, das letztes Jahr in Frankreich erschien.

Schwer vorstellbar, dass ein ähnlicher Titel in einer mittleren deutschen Stadt im Schaufenster einer City-Buchhandlung läge. Und dies nicht nur aus Rücksicht auf Kinder, die sich davor die Nasen plattdrücken könnten. Sondern schon deshalb – Sex sells, aber dafür gibt es hierzulande Geschmacksgrenzen –, weil hier kaum jemand derlei behaupten würde. Jedenfalls niemand, der oder die dafür einen ernstzunehmenden Verlag – Badious Verlag ist das renommierte Haus Fayard – finden wollen.

Damit hat ein anderer Ketzer seine Erfahrungen gemacht, der italienische Althistoriker Luciano Canfora. Sein Buch „Demokratie. Geschichte einer Ideologie“ sollte auf deutsch herauskommen, doch der Münchner Beck-Verlag weigerte sich. Über die Gründe gibt es unterschiedliche Versionen.

„Die einzig wirklich gefährliche und radikale Kritik ist heutzutage eine politische Kritik an der Demokratie“, heißt es in Badious schmalem Bändchen. Badiou war einmal einer der führenden französischen Maoisten und Canfora gilt als recht orthodoxer Altkommunist. Randständig sind sie aber nicht, Canfora etwa hat eine Professorenkarriere hinter sich, eine brillante zudem.

Woher nun dieses Tabu? Vielleicht weil die demokratische Erziehung der Deutschen von außen kam und die sich auch nach fast 70 Jahren selbst noch nicht trauen? Moderne Menschen sind in der Regel stolz darauf, alles durchs Säurebad der Kritik zu ziehen, die Empörung Gläubiger zum Beispiel, wenn sie ihren Gott gelästert sehen oder ihre altbackenen Riten. Die Götter des Fortschritts hingegen schützt ein Tabu, und sie heißen nicht nur Demokratie. Auch „Aufklärung“ oder „Bildung“ haben ihren Platz im modernen Himmel. Wer sie angreift, wird – nein, nicht einmal verketzert, sondern gar nicht erst verstanden. So tief steckt die Ehrfurcht davor in den Köpfen. Dabei waren es zwei Deutsche, die die „Dialektik der Aufklärung“ auseinandernahmen, und Historikerinnen wissen, dass Nationalismus, aber auch die Zementierung der patriarchalen Geschlechterordnung Erbstücke des sogenannten Zeitalters der Aufklärung sind. Dass Bildung Barbarei nicht verhindert, sollte gerade das Volk der Dichter und Denker wissen, aus dem eines der Richter und Henker wurde. Dem quasireligiösen Ansehen des Begriffs hat das nie geschadet, er steht seit der Integrationsdebatte sogar höher im Kurs denn je („Bildung ist der Schlüssel zur Integration“). Und war doch selten falscher.

Dabei sollten gerade Anhängerinnen und Anhänger der säkularen Religion zusehen, dass sie sich einen Klerus möglichst provozierender Kritiker halten. Nicht die Demokratie zum Beispiel ist eine falsche Göttin, sondern jener Kult mit ihr, den Badiou sentimental nennt. Radikale Kritik würde sie verbessern. Demokratien können auch Kolonialstaaten, sie können mörderisch werden – sogar zwangsläufig, meint der amerikanisch-britische Soziologe Michael Mann, der „ethnische Säuberungen“ als in ihnen angelegt sieht. Das sei keine Fehlentwicklung, sondern schlicht deren „dunkle Seite“; Demokratien strebten nach Vereinheitlichung. Und selbst die demokratische Musterschülerin Deutschland ist nicht ohne Tadel. Vom massenhaften Datensammeln muss hier nicht mehr die Rede sein. Aber auch die Außenpolitik versündigt sich schon mal, auch dann, wenn keine Nato-Bindung dazu zwingt. Ein Land, das sich auf „Staatenimmunität“ beruft, also darauf, dass es nicht von Bürgern anderer Staaten verklagt werden darf – zum Beispiel auf Entschädigung für Zwangsarbeit unter deutscher Besatzung bis ’45 – handelt nicht als Demokratie, im Sinne des Volks der Bürger, sondern als Bürokratie. Nur eins von etlichen Beispielen und wie die Überwachung: Metternichs reaktionärer Obrigkeitsstaat hätte es vor bald 200 Jahren wohl kaum anders gemacht.

„Herrschaft ohne Macht wird es nie geben.“ Das hat der römische Dichter Lukrez geschrieben und Canfora, der humanistisch hochgebildete Polemiker, hat es in einem anderen Buch zitiert. Das gilt auch für demokratische Herrschaft. Die deshalb stets hart kritisiert gehört.

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