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Demokratie und Rechtsstaat: Es gibt kein Widerstandsrecht gegen Bahnhöfe

Das Projekt Stuttgart 21 ist nicht "nur" rechtsstaatlich korrekt gestaltet, sondern auch korrekt in demokratisch gewählten Vertretungskörperschaften beschlossen worden. Die Legitimationskette ist geschlossen. Ein Kommentar.

Von den pragmatischen Aspekten des Bahnhofprojektes in Stuttgart soll jetzt nicht die Rede sein, sondern von den fundamentalen Fragen an unser demokratisches Selbstverständnis, die mit dem Streit um dieses Vorhaben verknüpft sind. Erhard Eppler, einer der Weisen der SPD, hat behauptet, rechtsstaatlich sei die Planung korrekt gewesen, nun aber komme die Demokratie dem Rechtsstaat in die Quere. Darin ist er nicht nur einem bösen Missverständnis erlegen, sondern hat es fast noch hoffähig gemacht.

Den Rechtsstaat auf diese Weise gegen die Demokratie auszuspielen – oder umgekehrt: die Demokratie den Rechtsstaat beiseiteschieben zu lassen –, ist schon deshalb irrig, ja verwerflich, weil es zum einen keine freiheitliche Demokratie ohne Rechtsstaat und zum anderen keinen wirklichen Rechtsstaat ohne Demokratie geben kann. Das eine ist jeweils die Voraussetzung des anderen.

Und nun praktisch und sozusagen zeitgeschichtlich gewendet: Das Stuttgarter Bahnhofsprojekt ist ja nicht „nur“ rechtsstaatlich korrekt gestaltet, sondern auch genauso korrekt in demokratisch gewählten Vertretungskörperschaften von Bund, Land und Stadt beschlossen worden. Die Legitimationskette ist also ebenso demokratisch wie rechtsstaatlich vollständig geschlossen.

Wenn also Eppler hier das eine gegen das andere richtig ausspielen wollte, dann müsste er sagen: Hier steht ein Demokratieverständnis gegen das andere – nämlich das in dieser Sache seit vielen Jahren betätigte repräsentative Demokratiemodell gegen die angeblich direkte Demokratie, die derzeit auf die Straße getragen wird; man kann es auch noch direkter sagen: die langjährige Ansicht der baden-württembergischen SPD in den Körperschaften gegen ihre opportunistische Angstwendung von heute – die ihr übrigens bei den bevorstehenden Landtagswahlen bescheren könnte, dass sie zwischen allen Stühlen auf dem Armesünderbänklein landet. Allerdings hat die repräsentative Demokratie in diesem Fall den Vorzug, dass sie auf nachweisbaren Wahlergebnissen beruht, wohingegen der Protest auf Stuttgarts Straßen zwar das Recht auf Demonstrationsfreiheit hinter sich hat, aber noch lange nicht den Nachweis einer tatsächlichen Wählermehrheit.

Ein Widerstandsrecht gegen demokratisch beschlossene und rechtsstaatlich abgesicherte Entscheidungen kann es schon deshalb nicht geben, weil ein solcher Widerstand sich nur gegen offenkundiges Unrecht richten könnte (oder ausnahmsweise in existenziellen Überlebensfragen erwogen werden dürfte – aber wessen Überleben hängt von einem Bahnhof ab?), nicht aber gegen Sachentscheidungen, die man halt anders beurteilt als andere.

Apropos Eppler: In der Nachrüstungsdebatte war er der Ansicht, man müsse der Stationierung neuer Raketen auch aus christlichen Gewissensgründen widerstehen, weil sie – einmal aufgestellt – niemals mehr verschwinden würden. Die Gegenfrage, wo man mit dieser fundamentalistischen Position lande, wenn dann doch alle Mittelstreckenraketen in Ost und West wieder abgebaut würden, erntete nur verständnislosen Unwillen. Als es dann schließlich doch so weit war und ich Eppler an diese Differenz (auch in der vermeintlichen Legitimation des Widerstandes) erinnerte, sagte er nur: „Ich weiß, dass ich mich geirrt habe. Aber der Schmidt hat sich noch viel mehr geirrt.“

Man sehe mir also bitte nach, dass ich nicht bereit bin, demokratische Strukturen und Entscheidungen zur Disposition des situativen Unmuts zu stellen. Übrigens auch nicht des allzu schnell interpellierten Gewissens; denn auch das Gewissen kann irren – und zwar (siehe oben) sehr.

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