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Der 1. Mai in Berlin: Ein Ritual wird Geschichte

Ein paar Steinwürfe, eingeschlagene Scheiben und eine brennende Mülltonne. Das war es auch schon fast. So friedlich war es selten an einem 1. Mai. Kreuzberg feierte lieber, als Krawall zu machen.

Nichts da von einem „Tag des Zorns“, wie die Veranstalter der „revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ als Motto ausgegeben hatten in eitlem Selbstbezug auf den mutigen Befreiungskampf in Nordafrika. Präsenz ohne Provokation, kluge Zurückhaltung, aber auch schnelles Zugreifen – rund um den Tag der Arbeit ging die Strategie der Polizeiführung auf, die mit fast 7000 Beamten von vornherein klar machte, dass sie nichts anbrennen lassen würde.

Es könnte sein, dass der 1. Mai 2011 eine wichtige Wegmarke wird, das unselige Randale-Ritual nach 25 Jahren endlich Geschichte werden zu lassen. Wesentlich unterstützt wird es durch die Rückeroberung des öffentlichen Raums durch die Anwohnerinitiative. Das Myfest, das inzwischen eine eigene, friedliche Tradition begründet, hat sich auf den gesamten Kiez ausgedehnt und nimmt den gewaltbereiten Schwarzjacken den Raum, Krawall anzuzetteln. Hinzukommt eine Mobilisierungsschwäche der Autonomen, die ihre Aktionen wie die Brandflaschenwürfe auf eine Reinigungskraft selbst in den eigenen Reihen nicht mehr legitimieren können. Abschreckend auf Krawall-Touristen scheint auch zu wirken, dass Gerichte zunehmend härtere Strafen gegen Steinewerfer verhängen.

Nur Christian Ströbele, der König von Kreuzberg, hat offenbar linke Orientierungsprobleme. Einen „Schönheitsfehler“ nennt der grüne Bundestagsabgeordnete die Steinwürfe auf die Schaufenster der Volksbank. Der Vorwurf der Autonomen, diese hätten die Finanzkrise mitverursacht, sei „inhaltlich überhaupt nicht nachvollziehbar“, sagt er. Ach, was! Man könnte daraus schließen, dass die Steinwürfe an sich richtig waren, jedoch die falschen Banker trafen. Also, Leute, beim nächsten Mal bitte eine Deutsche Bank aussuchen, oder was? Ströbele ist zu klug, um das so zu meinen; bei jenen, die seine unbedachten Worte lesen, ist das nicht so sicher. Er braucht sich jedenfalls nicht beklagen, wenn nun an der Regierungsfähigkeit der Grünen gezweifelt wird. In der nervösen Atmosphäre, die in Kreuzberg herrscht, ist solch verantwortungsloses Geplapper ein gefährlicher Funke.

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