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Der 44. US-Präsident: In gutem Glauben

Sein Schicksal rührt, seine Reden ergreifen, sein Charisma inspiriert: Barack Obama bleibt ein Faszinosum. Doch wie viel Wandel wird nun wahr? Das ist, in den USA wie im Rest der Welt, die Schlüsselfrage an Obama. Er sollte eine faire Chance bekommen.

Er ist der mächtigste Mann der Erde, Anführer der freien Welt, Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberbefehlshaber in einer Person. Heute legt er seinen Amtseid ab, vor der kolossalen Kulisse des Kapitols, dem Sitz des amerikanischen Kongresses. Predigten, Pomp und Pathos werden das epochale Ereignis umranken. Auch wenn es schon tausendmal gesagt wurde: Dass 150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei ein junger, schwarzer Politiker seine rechte Hand hebt zum Schwur auf die Verfassung und mit der linken dieselbe Bibel berührt wie einst Abraham Lincoln, ist immer noch etwas wahrhaft Wunderbares und ein Beweis für die ungebrochene Vitalität des amerikanischen Traums.

Ja, es fällt leicht, in der romantizistischen Aura dieses Tages ein warmes Gefühlsbad zu nehmen. Barack Hussein Obama, der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, bleibt ein Faszinosum. Sein Schicksal rührt, seine Reden ergreifen, sein Charisma inspiriert. Er und seine Anhänger bilden eine innige Verständniseinheit. Vier Fünftel der Amerikaner blicken optimistisch auf die kommenden vier Amtsjahre. Obama tritt gar nicht erst an, die kulturellen Gräben des Landes zu überbrücken, er hat es bereits getan und tut es mit jedem Tag. Nichts mehr versprechen, nur noch halten – gibt es eine stärkere Gunstbezeugung? Weder von Ideologie getrieben noch von Lageridentität geprägt könnte er ein genuiner Präsident des Volkes werden.

Es fällt aber auch leicht, über den Magier und Messias zu frotzeln, seine wohl gewählten Worte auf Phrasen zu reduzieren und die Sehnsucht nach dem Heilsbringer als kurzlebige Naivität zu charakterisieren, die sich nach dem ersten harten Aufprall mit der Wirklichkeit selbst entlarvt. George W. Bush war die ideale Projektionsfläche für Aversionen, Obama ist die ideale Projektionsfläche für Illusionen. Gerade weil er so wenig Konkretes verspricht, eignet er sich in besonderer Weise als Adressat sehr diverser Wunschlisten. Und weil er noch nie eine wirklich wichtige Entscheidung treffen musste, darf jeder die Hoffnung hegen, er stehe fest an seiner Seite.

Wie viel Wandel wird nun wahr? Das ist, in den USA wie im Rest der Welt, die Schlüsselfrage an Obama. Dabei ist sie, jedenfalls einstweilen noch, unbeantwortbar. Keiner weiß, wie viel Zeit und Elan die Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise absorbiert. Keiner weiß, ob der Nahe Osten bald erneut explodiert, wie schnell sich das amerikanische Gesundheitssystem reformieren lässt und die Truppen aus dem Irak abgezogen werden können, ohne dort Chaos zu hinterlassen. Die Aufgaben, vor denen Obama steht, sind nahezu überwältigend groß, die Imponderabilien auf seinem Weg mannigfaltig. Was ihm hilft, sind Klarheit und Offenheit. Die Zeiten des Schönredens und Weißwaschens sind vorbei.

Die Amtseinführung eines US-Präsidenten ist gleichzeitig Spektakel und Ritual. Sie ähnelt einer Inthronisierung. Das hat zu tun mit der Ratio einer 220-jährigen demokratischen Tradition. Die zeremonielle Würde signalisiert dem künftigen Präsidenten, welche Ehre ihm zuteil wird und welche Last er von nun an schultert. An höchster Stelle darf er seinem Land hart dienen. Aus dem Volk indes soll spätestens an diesem Tag die Gefolgschaft werden. Ihr habt mich ins Amt gehievt, jetzt brauche ich euch für den Erfolg: Dieser Pakt – und nicht allein die politische Kunst des Mannes im Oval Office mit seinem Kabinett – entscheidet über das Gelingen der Präsidentschaft.

Obama hat in dem Maße Erfolg, wie die Amerikaner Geduld mit ihm haben, wie sie ihm seine Fehler verzeihen, wie sie sich auch weiter von seinen Botschaften beflügeln lassen. Weder nützt ihm blinde Treue noch überwache Skepsis. Der Verstand kann trotz auch der sinnlichen Ausstrahlung dieses Mannes eingeschaltet bleiben. Nur Misstrauen und Kritikasterei sind, vor allem am Tag seiner Amtseinführung, fehl am Platz. In Amerika und dem Rest der Welt sollten die Menschen in aufgeklärter, nicht abgeklärter Haltung offen sein für das Bild, das Obama heute von sich und seiner Mission zeichnet. Denn das ist sicher: Wenn er keine faire Chance bekommt, gibt es keine Fairness mehr.

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