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Bundeskanzlerin Angela Merkel - Weg mit den "Mutti"-Klischees!

© dpa

Der Blick auf die Kanzlerin: Merkel, eine Männerfantasie

Schwarze Witwe? Gottesanbeterin? Mutti? Alles Quatsch! Der Blick auf Angela Merkel wird durch männliche Klischees verstellt. Wir sollten die Kanzlerin endlich als Politikerin betrachten, meint Andrea Dernbach.

"Was will das Weib?", soll Freud einst gefragt haben, wohl ehrlich ratlos. Eine Frage allerdings, die nur im Patriarchat gestellt – und nur nach dessen Ende beantwortet werden kann. Aber so weit sind wir auch ein Dreivierteljahrhundert nach dem Tod des Meisters nicht. Und so kommt es, dass im neunten Amtsjahr der ersten deutschen Kanzlerin noch Varianten der großen Frage durch die Öffentlichkeit geistern: Was will Merkel? Wofür steht sie? Steht sie überhaupt für etwas, hat sie eine Vision, ein Programm? Und seit dieser Bundestagswahl: Wen bringt sie als Nächstes um? Wen wird die Königsboa in ihrer Umarmung ersticken – wieder die SPD oder diesmal die Grünen? Wen frisst die Schwarze Witwe jetzt, die Gottesanbeterin – das Bild fand ein ungarisches Wirtschaftsmagazin –, nachdem sie sämtliche innerparteiliche Konkurrenz verputzt und gar eine ganze Partei geschluckt hat, die FDP?

Angela Merkel - wirklich eine Schwarze Witwe?

Gegenfrage: Was würde kühle politische Analyse zu diesen Metaphern sagen? Sehen wir uns die Strecke von Merkels angeblichen Opfern doch einmal an: Die SPD hat, nach einer anderen und sonst weithin akzeptierten Zeitgeschichtsschreibung, nicht erst zwischen 2005 und 2009, in der großen Koalition unter Merkel, Atemnot bekommen, sondern in den rot-grünen Jahren. Damals entfremdeten die Hartz-Reformen ihr die Kernklientel; davon hat sie sich, der Wahlsonntag hat’s gezeigt, bis heute nicht erholt.

Und was die starken Männer der Christdemokratie angeht, die Merkel angeblich auf dem nicht vorhandenen Gewissen hat, so haben die sich selbst aus dem Spiel genommen. Friedrich Merz, der als erstes Opfer der CDU-Chefin gilt, glaubte, es genüge, sich mit dem bayerischen Männerfreund Edmund Stoiber zu verabreden, um seinen Job als Fraktionschef zu sichern. Und merkte nicht, dass Merkel gar nicht anders konnte als ihn zu übernehmen. Nicht weil’s Mutter Natur befahl – Schwarze Witwe! –, sondern weil Parteichefin keine ausreichende Basis für eine Oppositionschefin ist.

Hessens früherer Ministerpräsident Roland Koch, ihr angeblich nächstes Opfer, war im Unterschied zu Merz rational genug zu sehen, dass er mit dieser Frau absehbar wenig Chancen haben würde, selbst noch Kanzlerkandidat zu werden. Und suchte sich gut bezahlten Ersatz in der Wirtschaft.

Und die FDP? Hat vermutlich, ganz ohne Nachhilfe der präsumptiven Königsboa, vier Jahre lang einfach zu viele Fehler gemacht. Sie startete 2009, ziemlich selbsttrunken angesichts eines Spitzenergebnisses, in die Legislatur, leistete sich dann Gefälligkeiten für die Hotelbranche und schloss die vier Jahre mit einer Betteltour um Wahlhilfe ab. Beim Altkanzler in Oggersheim wohlgemerkt.

Sie hat uns vernichtet, heißt es jetzt in der Reihen der Geschlagenen. Gut möglich, dass „Mutti“ den Bittgang in die Pfalz nicht goutiert hat. So wenig wie die etwas älteren Witze des Parteivorsitzenden Rösler über ihre Hosenanzüge und ihre angebliche Froschperspektive. Wesentlicher als Dolchstoßlegenden ist aber, dass eine patriarchal imprägnierte politische Klasse beim Blick auf die Kanzlerin einen Knick in der Optik hat. Und der trübt die Urteilsfähigkeit.

"Mutti" ist ein untaugliches Bild

Woran das wohl liegt? Ziemlich sicher an einem ziemlich alten, aber leider immer noch virulenten Frauenbild: Mutti muss jede Illoyalität verzeihen, sie muss lieb sein, auch wenn man sie verspottet, und darf schon gar keine Ansprüche stellen. „Mutti“ ist nur ein völlig untaugliches Bild, um eine politische Persönlichkeit zu beschreiben. Der Schritt von der sorgenden Mama zur (männer-)mörderischen Boa constrictor ist dabei so kurz wie der zwischen Heiliger und Hure. Aber auch die Boa ist ein untaugliches Bild, um Merkel zu verstehen. Es ist: nichts weiter als eine Männerfantasie.

Was nämlich will das Weib? Die Antwort ist so einfach: dasselbe wie die Kerle, ein gutes Leben. Das ist für die einen ein Häuschen im Grünen, für die andern viel Geld oder viel Gutes, das man andern tut. Im Falle von Politikerinnen und Politikern ist das in der Regel: Macht. Die sie selbst lieber „Verantwortung“ nennen. Wer diese einfache Weisheit schluckt, die allseits akzeptiert ist, wenn es um männliche Politiker geht, versteht die Kanzlerin ganz sicher besser. Ausprobieren! Wenn Merkel nämlich endlich als Politikerin gelesen würde und nicht als Frau – als Frauenklischee, wohlgemerkt –, dann könnte man sich zum Nutzen Deutschlands und Europas endlich mit ihrer Politik beschäftigen. Da gäbe es schließlich genug anderes zu kritisieren als die Farbe ihrer Business-Dresses.

Denn die Kanzlerin genießt, als kluger Machtmensch, die stillen Tage im Klischee. „Blau war gestern“, bemerkte sie kokett am Morgen nach ihrem Triumph. Es ging natürlich nur um ihr aktuelles Jackett, nicht um die FDP, bewahre! Streuselkuchen, Blazer, schwäbische Hausfrau: So einfach sollte es ihr nicht gemacht werden.

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