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Meinung: Der Bombay-Davos-Express

Eine Welt: Die Kritiker der Globalisierung und deren Gestalter kommen sich näher

Von Caroline Fetscher

Zwei Weltgipfel in einer Woche: Einer auf dem Zauberberg der globalen Elite, in den Luxushotels des Schweizer Luftkurortes Davos. Ein zweiter im indischen Bombay mit 15 Millionen Einwohnern, von denen 40 Prozent in Slums leben. Gipfel und Gegengipfel, World Economic Forum und World Social Forum – die beiden Ereignisse laufen seit vier Jahren schon parallel. Welten scheinen sie zu trennen.

Nach Bombay kann jeder kommen, der die Reise irgendwie zusammenspart, nach Davos wird handverlesen eingeladen. In Davos denkt man, dass die in Bombay spinnen, in Bombay blickt man ähnlich nach Davos. Polit-Woodstock versus Chefetagen-Meeting? Inzwischen könnte man durchaus eine Wette wagen: Sehen Sie sich eine Liste von Workshops beider Gipfel an, und raten Sie, welcher zu welchem Gipfel gehört. Etwa: „Machtmissbrauch von Staaten und Führungskräften", „Interzivilisatorischer Dialog und Aktion", „Medizin menschlicher gestalten", „Ein Abend mit Karikaturisten", „Unser moralischer Kompass", „Beiträge der Zivilgesellschaft für den Frieden", „Vorsicht, Land-Spekulanten!". Okay? Ja, alles Davos.

Als Amerikas Ex-Präsident Clinton den Davoser Gipfel eröffnete, sprach er über eine Milliarde Menschen, die sich von weniger als einem Dollar am Tag ernähren müssen, über 42 Millionen HIV-Infizierte, vor allem in Afrika, und die Notwendigkeit, Aids-Medikamente bezahlbar zu machen. Gemeinsam mit Nelson Mandela tourt Clinton, „den Klingelbeutel in der Hand", wie er sagte, als Aids-Campaigner durch die Lande: Ein NGO-Aktivist, einer, der vom Government zur Non-Governmental-Organization ging.

In Bombay sprachen Mary Robinson, lange Jahre UN-Menschenrechtsbeauftragte, und es trat eine Direktorin von amnesty international auf. In Davos war der Direktor von Human Rights Watch, Kenneth Roth, eingeladen, ebenso Elie Wiesel und der Schriftsteller Paul Theroux, dessen Romane sich kritisch mit der postkolonialen Welt beschäftigen. Es scheint, als ginge es beiden Gipfeln um dasselbe: Die Debatte darüber, was zu tun sei, damit es möglichst vielen viel besser geht.

Mit Emphase rief Bill Clinton zu den Anti-Globalisierern nach Bombay herüber: Dort stellen sie die richtigen Fragen, sagte er, und sie erstellen die richtigen Analysen. Das seien sicher „many wonderful people". Aber, sagte Clinton, „sie wollen das Rad der Zeit zurückdrehen. Und das geht nicht." Die Globalisierung ist ein Faktum. Wir haben sie erfunden, sie existiert und lässt sich so wenig abstellen, wie die von uns erfundene Sprache abgeschafft werden kann. Die Frage ist, wie Globalisierung ihr Gesicht verändern kann. Darin ist Bombay so gespalten wie die Weltelite. Die streitet um Neoliberalismus versus soziale Marktwirtschaft, der Gegengipfel darum, ob es um Reform oder doch, noch, um Revolution gegen das „Empire" des Weltkapitals geht. Während die Pop-Königin des indischen Treffens, Arundhatiy Roy, vor Tausenden erklärte, gegen den unilateralen Hegemon USA „müssen wir der Widerstand im Irak werden!" und als eine der wenigen im NGO-Jetset das sozialistisch orientierte Treffen der Bombay-Abspalter „Mumbai Resistance" besuchte, haben andere Kritiker der Globalisierung längst die Chancen von Markt und Demokratie vor Augen. Ihnen geht es um Teilhabe – von Frauen, Alten, Behinderten, Kindern – an einer Gesellschaftsform, die eher dem heutigen Schweden gleicht als der Diktatur des Proletariats.

Die breite Schnittmenge der beiden Gipfel ist so komplex wie post-utopisch: Soziale Marktwirtschaft, Menschenrechte, Globalisierung der Justiz. Vielleicht verschmelzen die beiden Gruppen ja in einigen Jahren. Der Trend scheint sich anzudeuten. An den Rändern bleiben dann zwei kleine Abspalter-Treffen: Spätmarxistische wie krude-kapitalistische Hardliner. Im Mainstream aber würde die Doppelelite das verhandeln, was Clinton jetzt forderte: Statt eine Serie halbfertiger Baustellen in Bereichen wie der globalen Aids-Politik zu unterhalten, systematisches, gemeinsames Handeln zu fördern. Auf dem Weg zu einer kosmopolitischen Demokratie.

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