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Meinung: Der Brei ist dicker noch

Bund und Länder neu verfassen – zu den Vorschlägen des Verfassungsgerichtspräsidenten

Sind wir in guter Verfassung? Taugen das Grundgesetz und seine politische Ordnung noch für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte? Ist Deutschland nicht mehr reformfähig genug? Selten in den letzten Jahren war die Debatte über eine Verfassungsreform so weit gefächert wie heute. Die Malaise auf allen Ebenen hat den Handlungsbedarf deutlich wachsen lassen. Um zu einem Bild aus der Küche zu greifen: Ging es vor einigen Jahren noch darum, eine klare Suppe auszulöffeln, ist daraus nun ein dicker Brei geworden.

Bundestag und Bundesrat mühen sich derzeit darum, ihr Verhältnis zu klären und zu einer Föderalismusreform zu kommen. Das Ziel: Klarere Zuständigkeiten, eine verständlichere Politik. Zwischen Bundestag und Bundesrat werden zudem mehrere Reformwerke verhandelt, die weit in die Zukunft weisen. Eine große Steuerreform kündigt sich an, die Rentenreform wird spätestens im Frühjahr alle anderen Themen verdrängen. Noch ist es nicht in allen Köpfen, aber es ist so: Deutschland ist in der schwierigsten Phase der Nachkriegszeit, noch nie war eine vorausschauende Reformpolitik, die gestaltet und nicht nur repariert, so wichtig wie heute. Und dabei spielt zwangsläufig auch das Verfassungsgericht eine Rolle. Dessen Präsident Hans-Jürgen Papier hat sich jetzt zu Wort gemeldet und seine Überlegungen zur Reformdebatte zusammengefasst. Aber einige seiner Vorschläge dicken den Brei noch an, statt ihn zu dünner zu machen.

Papier missfällt die Macht des Bundesrats. Da steht er nicht allein. Aber muss man die Länderkammer, deren Existenz ja nicht ohne Grund ist, durch einen direkt gewählten Senat nach US-Vorbild ersetzen? Eher nicht. Ein reformierter Bundesrat kann das leisten, was er soll: Nämlich die Verwaltungserfahrung der Länder einbringen und regionale Interessen vertreten, die sonst im Zentralstaat untergingen. Ein Senat dagegen bedeutete eine weitere Wahlebene. Dass die Parteien immer eine Rolle spielen – nun ja. Auch der Senat in Washington ist eine Parteienkammer, auch er kann blockieren. Und die USA haben sich für einen Föderalismus entschieden, der klar trennt zwischen Zentrale und Region.

Das deutsche Grundgesetz sieht das nicht vor, und es gäbe ein Aufjaulen, würde diese Trennung bei uns umgesetzt. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse wäre bedroht! Und damit ein politischer Grundsatz, der ja auch in Karlsruhe stets beachtet wird. Aber warum nicht diesen Grundsatz abschaffen, der doch ehrlicherweise realitätsfremd ist? Dann würde sich ein weiterer Vorschlag Papiers fast erübrigen: die Neugliederung der Länder, um gleich starke Einheiten zu schaffen. Aber die Deutschen wollen auch ihre politische Region, schon immer, und Fusionsideen haben es da schwer. Aber wer Regionalidentität auch politisch ausgedrückt wissen will, muss Unterschiede akzeptieren. Nicht jeder Nachteil muss ausgeglichen werden.

In einem Punkt lässt Papier aufhorchen. Er sieht ein Verfassungsgebot der Generationengerechtigkeit, das in die Zukunft reicht. Politik ist demnach auch verfassungsrechtlich für die zuständig, die noch nicht wählen. Damit erscheinen etwa Rentenkürzungen in neuem Licht. Sie unterliegen laut Papier dem Gebot der Verhältnismäßigkeit im Generationenzusammenhang. Das wird für die weitere Rentendebatte Folgen haben.

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