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Meinung: Der eingebildete Gesunde

Placebos müssen bitter schmecken, wenn sie wirken sollen

Alexander S. Kekulé Hippokrates hatte mit Placebos kein Problem. Der griechische Urvater der Medizin war überzeugt, dass Ärzte bereits heilen, indem sie beim Patienten „Zufriedenheit“ erzeugen. Davon abgesehen wusste er bei den wenigen verfügbaren Heilmitteln ohnehin nicht, warum sie wirken. Deshalb war Wasser so gut wie Pflanzenextrakt, Handauflegen so gut wie Diät. Wirksamkeitsnachweise für die Krankenkassen waren noch kein Thema – der Meister aus Kos kassierte grundsätzlich bar.

Heute ist der „Placeboeffekt“ ein Schreckgespenst der Schulmedizin. Ein Placebo („ich werde gefallen“) wirkt, obwohl kein arzneilicher Wirkstoff drin ist. In den 50er Jahren untersuchte der Anästhesist und streng naturwissenschaftliche HarvardProfessor Henry Beecher die Wirkung von Morphium bei verwundeten Soldaten. Mit Erstaunen musste er feststellen, dass bei einem Drittel der Patienten Placebos genauso gut wirken wie das stärkste damals bekannte Schmerzmittel.

Beecher vermutete eine Suggestionswirkung des Arztes als Ursache. Seither wird die Wirksamkeit neuer Arzneimittel in „Doppelblindstudien“ geprüft, bei denen weder Arzt noch Patient wissen, welche Pille echt ist und welche nur aus Zucker und Bindemittel besteht. Da auch unter Placebo-Einfluss teilweise deutliche Besserungen beobachtet werden, ist die Anforderung an neue Medikamente, besser zu wirken, keineswegs trivial. Der statistische Unterschied zwischen „Placebogruppe“ und „Verumgruppe“ (mit echtem Wirkstoff) entscheidet, was Medizin und was Scharlatanerie ist. Er ist der Verteidigungswall der seriösen Medizin gegen die Flut „unwissenschaftlicher“ Alternativmethoden.

Mehrere neue Studien ließen den Schutzwall jetzt bedenklich ins Bröckeln geraten. In einer israelischen Untersuchung mit 89 Ärzten und Schwestern gaben 60 Prozent an, Placebos zur Therapie einzusetzen. Zwei Drittel davon belogen ihre Patienten und sagten, diese bekämen echte Medizin – offenbar mit durchschlagendem Erfolg: 94 Prozent der Befragten waren überzeugt, dass Placebos zumindest gelegentlich wirken. Eine Befragung aus Dänemark mit 672 Ärzten kam zu einem ähnlichen Resultat.

Schon lange ist bekannt, dass die Begleitmusik wesentlich mitentscheidet, ob eine Therapie beim Patienten ankommt oder nicht. Voodoo-Heiler wären ohne ihre beeindruckenden Fetische wirkungslos. Rote und blaue Placebopillen wirken besser als weiße, bittere stärker als geschmacklose. Noch besser als Pillen sind Spritzen oder kleine Scheinoperationen. Am allerbesten wirken jedoch Placebos dann, wenn auch der Arzt glaubt, er verordne ein echtes Medikament.

Genau das ist offenbar seit Jahren geschehen, wie die Teilnehmer des US-Kardiologenkongresses letzten Monat erfahren mussten. Bei der Auswertung der Daten von 6825 Patienten zeigte sich, dass einer der in Kliniken meistverwendeten Betablocker, das Blutdruckmittel Atenolol, das Risiko von Herzinfarkten und Herztod nicht stärker mindert als ein Placebo. Doch damit nicht genug: Auch die „Angiotensinrezeptor-Blocker“, viel gelobte Errungenschaften der modernen Arzneiforschung, verringern die Sterblichkeit nach Herzinfarkt nicht besser als Placebos, wie eine große Studie mit 7599 Patienten ergab. Grund für dieses, die Fachwelt schockierende Ergebnis ist die hervorragende Wirkung der Placebos. Diese zeigt sich jedoch nur unter einer Voraussetzung, die nicht minder bizarr ist: Die Placebos müssen wie echte Herzpillen regelmäßig und pünktlich eingenommen werden. Offenbar ist die moderne Medizin vom Voodoo weniger weit entfernt, als ihr lieb wäre. Allerdings sind die Preise für die modernen Placebos unverhältnismäßig hoch.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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