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Die Macht der vornehmlich US-amerikanischen Ratingagenturen ist den europäischen Politikern ein Dorn im Auge.

© dapd

Euro in der Krise: Den Ratingagenturen schlägt die Stunde

Für die aktuelle Politik im Euro-Raum muss die Abwertung von neun Ländern zu entschlossenem Handeln führen. Der Forderung nach unabhängigen europäischen Ratingagenturen müssen endlich Taten folgen.

Das neue Jahr hätte für den Euro besser nicht beginnen können. Wichtige Euro-Staaten wie Italien und Spanien konnten sich an den Kapitalmärkten leichter Geld beschaffen. Die Herabstufung von neun Euro-Staaten durch die amerikanische Ratingagentur Standard und Poor’s zerstörte die vermeintliche Idylle. Die Verärgerung in Europa ist groß und verständlich. Finanzminister Schäuble hat mit klaren Worten und unmissverständlich die Ratingagenturen an ihre Verantwortung erinnert – zu Recht. Und in der Tat, die Grundlagen für die Bewertungen der Ratingagenturen sind so objektiv nicht, wie sie gelegentlich erscheinen mögen.

Gewiss, die Zahlen sind objektiv und auch nicht im Streit, aber die Schlussfolgerungen daraus, vor allem die Einschätzung der Entwicklungstrends, sind mehr als das Umsetzen von Zahlen in Worte. Es verlangt ein hohes Maß an Sachkompetenz und Objektivität bei der Einschätzung künftiger Entwicklungen. Die Ermahnung, man dürfe den Boten nicht schlagen wegen der schlechten Nachricht, die er überbringe, geht hier fehl. Bei der Herauf- oder Herabstufung ist die Ratingagentur in erster Linie Produzent der Bewertung und erst in zweiter Linie durch Publikation auch ihr Bote. Wobei die Auswahl des Zeitpunkts der Publikation dennoch von erheblicher Bedeutung sein kann.

Die Entscheidung Frankreichs für einen entschlossenen Kurs der Konsolidierung hat erhebliche Bedeutung über Frankreich hinaus. Und ein Blick nach Rom zeigt, wie dort eine ebenso kompetente wie glaubwürdige Persönlichkeit wie der neue Ministerpräsident mit einer dramatischen Wende hin zu einer schmerzhaften Stabilitätspolitik ein Signal setzt, das Wirkungen auch außerhalb Italiens hat und auch noch haben wird.

Für die aktuelle Politik im Euro-Raum muss die Neueinstufung von neun Ländern zu entschlossenem Handeln führen. Der Forderung nach unabhängigen europäischen Ratingagenturen müssen endlich Taten folgen. Transparenz über Verflechtung und Abhängigkeiten von Ratingagenturen in den USA muss endlich geschaffen werden. Wer finanziert da wen? Wer macht Geschäfte mit wem? Welche Abhängigkeiten bestehen sonst? Es fällt schwer sich vorzustellen, dass den Ratingagenturen bei ihren Bonitätsattesten die Ursachen der amerikanischen Hypothekenkrise verborgen blieben. Oder fehlte es an der erforderlichen Kompetenz? Ratingagenturen sind auch in Zukunft notwendig, aber Transparenz und Wettbewerb gibt es noch nicht in ausreichendem Maße und keinem Währungsgebiet kann das Privileg zustehen, allein Ratingagenturen zu haben.

Besonders wichtig für Europa: Es darf sich nicht wiederholen, dass Vereinbarungen über eine wirksame Stabilitätspolitik im Nachhinein ausgehöhlt werden. Leiden wir nicht gerade jetzt unter den Wirkungen der Verletzung der in Maastricht vereinbarten Stabilitätspolitik? Die Vereinbarungen über den Fiskalpakt müssen eins zu eins umgesetzt werden. Dazu gehört die Einführung der Schuldenbremse. Und was spricht eigentlich dagegen, dass die Kommission das Recht bekommt, Länder zu verklagen, die ihre Verpflichtungen nicht erfüllen? Was spricht gegen automatische Sanktionen? Konsequente Übertragung der Gipfel-Vereinbarungen ist notwendig, wenn der Fiskalpakt seine Funktion erfüllen soll.

Die Bundeskanzlerin hat mit Entschlossenheit und in enger Abstimmung mit dem französischen Präsidenten beim europäischen Gipfel einen großen Verhandlungserfolg erzielt. Nicht für Deutschland, sondern für den Euro. Die Bundesregierung verdient jetzt die breiteste Unterstützung bei der Durchsetzung des Vereinbarten. Das gilt für den Deutschen Bundestag, es muss genauso gelten für die Abgeordneten im Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament muss frühzeitig Partei ergreifen und seine Position deutlich machen. Das verlangt auch eine klare Positionierung der im Europäischen Parlament vertretenen Parteifamilien. Es schlägt die Stunde der Wahrheit!

Hans-Dietrich Genscher war von 1974 bis 1992 Außenminister.

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