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Der Fall Demjanjuk: Zwischen Schuld und Show

In Deutschland erwartet man die Ankunft des mutmaßlichen Nazi-Massenmörders John Demjanjuk, während sich in Berlin ein angeblich schräges Musical über Hitler ankündigt. Das vielleicht letzte Kapitel der strafrechtlichen Aufarbeitung des NS-Unrechts ist ein Stück zwischen Schuld und Show.

In Berlin kündigt sich der „Frühling für Hitler“ an, das angeblich schrägste, schrillste, erfolgreichste Broadwaymusical aller Zeiten, und zugleich erwartet eben jenes Publikum, das dort das „Dritte Reich“ verlachen will, mit Ingrimm die Ankunft des mutmaßlichen Nazi-Massenmörders John Demjanjuk. Dies ist die Folie, auf der das vielleicht letzte Kapitel der strafrechtlichen Aufarbeitung des NS-Unrechts geschrieben wird – ein Stück irgendwo zwischen Schuld und Show.

In Deutschland schalten und walten zurzeit zwei Generationen, die den Krieg nicht mehr erlebt haben. Mehr braucht es nicht, um aus Vergangenem Geschichte zu machen. Der US-Regisseur Mel Brooks, ein Jude, dem Hitlers Frühling in Berlin zu danken ist, reiht die Schreckenszeit schon – provozierend hintersinnig – in die Historie der Kreuzzüge ein. Gefühlte tausend Jahre lägen dann die Taten zurück, derer Demjanjuk bald in München angeklagt werden soll. Eine ironische Übertreibung, doch in der Karikatur liegt die Wahrheit: dass man einen Greis ebenso wenig einer „gerechten Strafe“ zuführen kann wie ein kleines Kind.

Das sollte nicht als Plädoyer missverstanden werden, es unversucht zu lassen; es sind nicht nur die Opfer und ihre Angehörigen, die einen Anspruch darauf haben. Es ist der Strafanspruch eines Staates, der den Massenmord an den Juden für unverjährbar erklärt und ihn bis zum letzten Täter einzulösen hat. Es hat lange, zu lange gebraucht, zu dieser Verantwortung zu finden.

Dass die Schuld der Täter nach dem Krieg zunächst nicht schärfer geahndet wurde, begründet eine neue Schuld. Doch ist sie geteilt: Nicht nur in der Bundesrepublik meinte man, mit den Nürnberger Prozessen sei genug gesühnt. Die Blockkonfrontation beförderte den politischen Willen im Westen, das Geschehene zu verdrängen, und der Konstrukteur der Nachkriegsrepublik, Konrad Adenauer, wusste genau, dass er seine besudelten Eliten brauchte: Man schüttet eben kein schmutziges Wasser aus, wenn man kein sauberes hat. Erst als die braune Brühe etwas verdunstet war, kam es zum Auschwitzprozess, der es allerdings nie hat wettmachen können, dass viele weitere Prozesse platzten und die legislativen Hürden für Schuldsprüche höher wurden. Im Willen, das Strafrecht zu liberalisieren, hatte der Bundestag die Strafbarkeit der Mordhelfer an den Nachweis ihres Rassenhasses geknüpft. Und dann waren da noch zehntausende Todesurteile, für die kein Jurist des „Dritten Reiches“ je hat büßen müssen.

Jetzt kommt – vielleicht – John Demjanjuk. Die Anklage gegen ihn ist keine Selbstanklage wegen einer verfehlten Aufarbeitung; sein Fall ist dafür zu klein und kommt zu spät. Ein rechtsstaatliches Verfahren ist zu führen, wenn kein Einwand entgegensteht. Zu prüfen wird sein, ob der Greis reisefähig ist, dann wird man sehen, ob man gegen ihn verhandeln und schließlich, ob man eine mögliche Haft vollstrecken kann. Es ist absehbar, dass Demjanjuks Verfahren in diesen Schritten stecken bleibt. Vielleicht mehren sich auch die Züge einer Show, wenn das bizarre Federlesen um die Physis des Verdächtigen beginnt. Anzeichen gibt es. Vielleicht kommt es aber auch zum größten anzunehmenden Unfall des Projekts, einem Freispruch. Erwarten sollte man nichts. Es wird langsam wichtiger, an die Opfer zu erinnern, als die Täter zu bestrafen.

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