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Meinung: Der Feigheit letzter Schluss

Die Regierungen in Südamerika haben die Krise zu verantworten – nicht der IWF

Von Armin Lehmann

Am leichtesten wäre der zu klären: Nach der Tequila- und der Tango-Krise – kommt jetzt die Samba-Krise? Brasilien, heißt es, könnte mit der rasanten Talfahrt des brasilianischen Real gleich den ganzen Kontinent in den Abgrund ziehen. Und die internationalen Finanzmärkte mit. Sicher ist das nicht. Die wirtschaftliche Situation Brasiliens ist zwar dramatisch.In erster Linie aber deshalb, weil Präsidentschaftswahlen anstehen und nicht, weil die amtierende Regierung schlecht gewirtschaftet hätte. Im Gegenteil: Brasilien war ein Musterschüler der internationalen Finanzmärkte und hat streng und solide gespart. Nun befürchten die internationalen Investoren einen Linksrutsch, der zur Aufgabe dieses Kurses führt.

Gefährlicher ist, dass sich Brasilien als potentestes Land Südamerikas einreihen könnte in die Krise des Kontinents. Fast überall erodiert die politische Klasse, die einhergeht mit dem schleichenden Abstieg vieler südamerikanischer Schwellenländer in die Liga der ärmsten Staaten.

Und wer hat Schuld? Vielleicht doch die Neoliberalen, die Marktliberalisierung und Deregulierung gepredigt und die massenhaften Privatisierungen der Staatsbetriebe bejubelt haben? Manch ein südamerikanischer Politiker tut jetzt so, als gäbe es diese Verschwörung von Globalisierungsmanagern und IWF wirklich. Aber daran, dass in Venezuela ein linker Populist diktatorisch regiert und die Gefahr eines Staatsstreichs wächst, dass die Linke in Peru nach dem Abgang Fujimoris ebenfalls keine Verbesserung der Lebensverhältnisse erreicht hat, dass Argentiniens Politiker unfähig sind, auf den Staatsbankrott zu reagieren, dass in Kolumbien ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg immer weiter eskaliert – daran hat der IWF höchstens eine Teilschuld. Weil er zu lange eine Politik betrieben hat, die zwar für die Konsolidierung der Haushalte richtig war, aber die innenpolitischen Zwänge der Regierungen nie berücksichtigt hat. Dass nämlich schmerzhafte Entscheidungen schwer zu verkaufen sind, wenn Arbeitslosigkeit und Lebenshaltungskosten wachsen, sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet.

Die Hauptschuldigen an dieser größten Krise Lateinamerikas seit Ende der Militärdiktaturen bleiben die Regierungen selbst. Feigheit, Korruption, Inkompetenz sind drei Gründe. Hinzu kommt eine Mentalität, die es als selbstverständlich erachtet, dass in jeder Krise milliardenhohe internationale Kredite gewährt werden. Aber Kredite reichen nicht. Den Wirtschaftsreformen hätten politische folgen müssen. Das zeigt die blutige Krise Argentiniens. Jahrelang hat es der Staat versäumt, Kredite oder Privatisierungserlöse zu reinvestieren, hat die eigene Industrie vernachlässigt, den Mittelstand kaputtgehen lassen und mit vollen Händen das Geld ausgegeben oder in die eigene Tasche gesteckt.

Jetzt ist das Vertrauen der Menschen in die Politik dahin. Eine Patentlösung ist nicht in Sicht, und es wird sie erst dann geben können, wenn die politische Klasse und die Eliten endlich Verantwortung übernehmen und die Frage beantworten können, warum besonnene und kompetente Politiker wie Brasiliens Präsident Cardoso in Lateinamerika Ausnahmen bleiben. Der Mercosur, der wirtschaftliche Zusammenschluss Südamerikas, bietet Chancen zur Selbsthilfe. Nach EU-Vorbild kann ein Wirtschaftsraum geschaffen werden, in dem Richtlinien für eine solide Haushaltspolitik gelten müssten.

In Brasilien wird im Oktober ein neuer Präsident gewählt. Vor seinem harten Sparkurs ist der scheidende Cardoso gefeiert worden, von Wählern und Finanzmärkten. Cardoso war eine Art Hans Eichel. Das wird jetzt vergessen. Die neuen Präsidentschaftskandidaten trauen sich nicht, den Konsolidierungskurs fortzusetzen. Deshalb reagieren die Finanzmärkte so panisch. Lateinamerikas politische Krise wird wohl noch größer werden.

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