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Meinung: Der gefangene Präsident

Das Volk findet Horst Köhler sympathisch, viele Politiker und Medien sind distanziert

Am Sonntag hat der Bundespräsident das renovierte Schloss Bellevue wieder als seinen Amtssitz übernommen, morgen gibt er den traditionellen Neujahrsempfang des Staatsoberhauptes für Vertreter des öffentlichen Lebens. An einem Tag der leutselige Hausherr, der die neugierigen Berliner gut gelaunt durch die Räume führt, am anderen der den protokollarischen Pflichten gerecht werden müssende Repräsentant der Bundesrepublik.

Das sind die zwei Seiten eines Amtes, aber auch die zwei Seiten des Horst Köhler. Gut eineinhalb Jahre nach seiner Wahl ist das Bild von ihm zwiespältig. Die Deutschen sind von ihrem Präsidenten begeistert. Bei der jüngsten Meinungsumfrage sagten 78 Prozent der Interviewten, sie seien mit seiner politischen Arbeit zufrieden oder gar sehr zufrieden. Auf ähnlich glänzende Werte kam keiner. Viele Politiker, die Union und FDP nicht nahe stehen, und auch viele Journalisten sehen das anders. Sie vermissen bei Horst Köhler Tiefgang und kritisieren, er mische sich zu sehr in die Alltagspolitik ein. Seine Reden seien naiv, heißt es, seine bevorzugten Themen jene des neoliberalen Bündnisses von Angela Merkel und Guido Westerwelle, das ihn an die Macht brachte. In der „Zeit“ wurde ihm vorgeworfen, er behandele das Volk wie ein unmündiges Erziehungsobjekt.

So viel verbale Prügel hat seit Heinrich Lübke kein deutsches Staatsoberhaupt aushalten müssen. Ein Präsident freilich, der sich aktiv in die Tagespolitik einmischt – und das tut Köhler zweifellos – muss mit dieser Kritik leben. Er kann sich auch nicht mit der hohen öffentlichen, im Gegensatz zur fehlenden veröffentlichten, Zustimmung trösten. Die Demoskopen relativieren seine Spitzenposition im Politikerranking. Sie weisen darauf hin, dass auch Roman Herzog und Johannes Rau im Laufe ihrer Amtszeit auf ähnliche Werte kamen, da würden oft weniger die Taten als der Amtsbonus honoriert.

Aber das erklärt nicht alles. Köhler ist im Umgang mit den Menschen direkt und herzlich. Journalisten, die ihn im kleinen Kreis erleben, loben seine Aufgeschlossenheit für alles Neue, seinen Ideenreichtum und sein geradezu missionarisches Werben für Unterstützung der gequälten Völker Afrikas. Der Riss im Bild Köhlers hat andere, weniger in ihm selbst liegende Ursachen. Aus eigener Kraft findet der politisch Unerfahrene offenbar nicht aus dem Lager heraus, das ihn ins Amt brachte – und in seiner Umgebung ist nicht erkennbar, wer ihm dabei helfen wollte.

Horst Köhlers Sprecher, Martin Kothé, war zuvor lange Jahre Sprecher der FDP und ein enger Vertrauter Guido Westerwelles, der die Wahl Köhlers zum Bundespräsidenten als eine Art persönliches Meisterstück ansieht. Der Eindruck ist verbreitet, dass Kothé an einer unabhängigen Positionierung des Staatsoberhauptes im öffentlichen Bewusstsein nicht viel gelegen ist und dass er eher noch die neoliberale Profilierung Köhlers verstärkt. Damit aber wird ein Image betont, das mit dem Menschen Köhler nur teilweise zu tun hat. Ob es ihm gelingt, sich dieser Außenprägung zu entziehen, wird darüber entscheiden, ob er einst als Präsident aller oder weiter nur als Repräsentant jener empfunden wird, die ihn ins Amt brachten.

Gerd Appenzeller

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