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Meinung: Der geöffnete Mund bewegt sich kaum

Die Transplantation eines Gesichts ist ein gewagtes Experiment

Alexander S. Kekulé Fremde Gesichter haben selten Glück gebracht. In dem Facelift-Klassiker der 40er Jahre „Das unbekannte Gesicht“ (Dark Passage) musste Humphrey Bogart sein Leben lang auf der Flucht bleiben, nachdem ihm ein Chirurg ein neues Antlitz verpasst hatte. Neueren Film-Transplantierten geht es nicht besser. In dem Streifen „Face/Off“ tauscht der FBI-Agent John Travolta das Gesicht mit dem Gangster Nicolas Cage – und muss dann zusehen, wie dieser mit Travolta-Lächeln bei seiner Frau einzieht.

Die Realität der Gesichtschirurgie ist weit weniger unterhaltsam, wie der Zuschauer am Montag im Fernsehen verfolgen konnte. Stolz präsentierte der französische Starchirurg Jean-Michel Dubernard die 38-jährige Isabelle Dinoire, die „erste Gesichtstransplantation der Welt“. Vorgeführt wurde eine Frau, deren starres Zweitgesicht Angst und Verunsicherung ausdrückt. Ihre Unterlippe hängt herab, ihr geöffneter Mund bewegt sich kaum. Sie liest schleppend einen Text ab, trinkt einen Schluck Wasser. Man hat den Eindruck, sie stünde unter Beruhigungsmitteln. Dubernard erklärt, dass Frau Dinoire vor der Transplantation immer kleckerte, weil sie keine Lippen mehr hatte. Er projiziert ein riesiges Foto an die Wand, das die grausigen Entstellungen vor der Operation zeigt. Spätestens mit dem Vorher-Nachher-Vergleich steht fest: Dubernard ist ein Held, der in die Geschichte der Medizin eingehen wird.

Dass Frau Dinoire bereits vor der Transplantation sprechen konnte, erwähnt Dubernard nicht. Den Unterkiefer bewegen ihre eigenen Kaumuskeln, die von den Hundebissen verschont wurden. Das Transplantat ist bisher vollständig gelähmt – ob die fremde Muskulatur jemals funktionieren wird, ist ungewiss. Kritiker fragen, ob die Entscheidung zur Transplantation nicht zu vorschnell war. Mit der sonst üblichen Methode der schrittweisen Verpflanzung eigener Hautpartien hätte das zerstörte Drittel von Dinoires Gesicht zuverlässig rekonstruiert werden können, wenn auch mit kosmetisch weniger befriedigendem Ergebnis. Rechtfertigt der ästhetische Unterschied das Experiment? Frau Dinoire sieht das wohl so. Sie erklärte voll Überzeugung, sie hätte jetzt ein „Gesicht wie jeder andere auch“.

Dafür muss sie zeitlebens Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Dadurch steigt die Anfälligkeit für gefährliche Infektionen und Krebs. Trotzdem kann das von einem anderen Menschen stammende Transplantat jederzeit wieder abgestoßen werden – dann wäre die Entstellung noch schlimmer als vorher.

Der schwerste Angriff gegen Projektleiter Dubernard und seinen Kollegen Bernard Devauchelle, der die Operation durchführte, betrifft jedoch eine psychologische Frage. Die regelmäßige Einnahme der Medikamente und das Leben mit dem Organ eines Toten verlangen den Patienten große psychische Kraft ab. Mit dem Gesicht einer Toten zu leben, ist eine noch höhere Belastung. Hinzu kommt, dass die 46-jährige Organspenderin durch Selbstmord umgekommen war.

Den Wettlauf um die erste Gesichtstransplantation hat Dubernard gewonnen. Das dürfte bei dem flamboyanten Arzt, der zugleich Politiker und Mitglied der Nationalversammlung ist, ein paar dunkle Erinnerungen vertrieben haben: 1998 hatte er als spektakuläre „Weltpremiere“ eine Hand samt Unterarm transplantiert. Der Patient, ein Serienkrimineller, wollte jedoch seine Mittel nicht nehmen und verlangte drei Jahre später, dass man ihm das Transplantat wieder abnimmt.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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