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Der Gipfel: Was alle bedroht

Obamas großer Wurf ist zunächst noch ein großer Entwurf. Doch dieser Mann hat eine Agenda, die er beharrlich verfolgt. Man täusche sich also nicht wieder in ihm.

Die Welt ist ungerecht. Es gibt fünf offizielle Atommächte. Sie sind ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und haben ein Vetorecht. Ihre Nuklearwaffen plus das Vetorecht verleihen diesen fünf Staaten viel Macht. Diese Macht haben sie sich verewigen lassen. Im Atomwaffensperrvertrag von 1968 verzichten alle anderen Länder, aktuell sind es 183, auf die Entwicklung und Herstellung atomarer Waffen. Im Gegenzug versprechen die offiziellen Atommächte redliche Abrüstungsverhandlungen. Der Atomwaffensperrvertrag ist das weltweit wichtigste sicherheitspolitische Abkommen. Im Mai findet dessen Überprüfungskonferenz im Rahmen der Vereinten Nationen statt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich hinter Barack Obamas diplomatischem Doppelschlag – in der vergangenen Woche der russisch-amerikanische Start-Vertrag in Prag über die Reduzierung ihrer atomaren Arsenale, nun der bisher größte Atomgipfel in Washington mit knapp 50 Teilnehmern – eine exakt kalkulierte Initiative erkennen. Der US-Präsident hat erkannt, dass die größte Bedrohung für den Weltfrieden heute von Terrororganisationen ausgeht, die an nukleares Material gelangen, und damit auch von Staaten, die intensiv an Atomprogrammen arbeiten und enge Kontakte zu Terrororganisationen unterhalten. Auf diese Erkenntnis hat Obama die anderen Gipfelteilnehmer verpflichtet und damit ein neues globales Sicherheitsbewusstsein geschaffen.

Daher zählt nicht so sehr das Ergebnis der Konferenz, sondern der Konsens, dass dieses Thema von Stund an oberste Priorität hat. In Prag und Washington gelang dem US-Präsidenten eine internationale Neufokussierung auf das seit Ende des Kalten Krieges bedrohlichste Szenario überhaupt. Es ist der Geniestreich eines Mannes, der seit seiner innenpolitischen Meisterprüfung, der Gesundheitsreform, nun auch außenpolitisch wie entfesselt wirkt. Praktisch übersetzt heißt seine Botschaft an die Welt: Ich halte fest an meiner Vision von einer atomwaffenfreien Welt, an Multilateralismus und Dialogbereitschaft, wenn ihr mir im Gegenzug noch entschlossener in meinem Kampf gegen Al Qaida und die iranischen Atomwaffenpläne helft. Unausgesprochen, aber unverkennbar war dieser Atomgipfel auch ein Anti-Irangipfel. In Teheran wurde das genau verstanden.

Zu nörgeln freilich bleibt genug. Das Start-Abkommen ist noch längst nicht ratifiziert, China und Russland zieren sich weiterhin bei wirklich einschneidenden Iransanktionen, selbst ein verschärfter Atomwaffensperrvertrag böte keinen hundertprozentigen Schutz vor Diebstahl und Missbrauch, die vier neuen Atommächte Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan sind nicht einmal Mitglieder des Vertrages. Das sind gravierende Einwände. Obamas großer Wurf ist zunächst noch ein großer Entwurf. Aber die Richtung stimmt, und spürbar ist die Entschlossenheit des US-Präsidenten, Kurs zu halten. Er wird das auf seine freundliche, kluge, charmante Weise tun – wie in seiner Dankesrede für den Friedensnobelpreis, in der er den gerechten Krieg pries.

Ja, er macht es einem nicht leicht. Erst betörte Obama durch sein Charisma, dann verliebte man sich in seine Reden, dann verstörte er durch seine Konzentration auf die Gesundheitsreform, und schließlich irritierte die viel zu frühe Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn. Die widerstreitenden Gefühle verdeckten den Blick darauf, dass dieser Mann eine Agenda hat, die er beharrlich verfolgt. Man täusche sich also nicht wieder in ihm. Die Enttäuschung wäre sicher.

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